Die Kakerlake
Jim Sams hat eine Verwandlung durchgemacht. In seinem früheren Leben wurde er entweder ignoriert oder gehasst, doch jetzt ist er auf einmal der mächtigste Mann Großbritanniens – und seine Mission ist es, den Willen des Volkes in die Tat umzusetzen. Er ist wild entschlossen, sich von nichts und niemandem aufhalten zu lassen: weder von der Opposition noch von den Abweichlern in seiner eigenen Partei. Und noch nicht mal von den Regeln der parlamentarischen Demokratie.
Die aberwitzige, kafkaeske Politsatire des großen britischen Erzählers.
Oh Schreck, Franz Kafka trifft auf Men in Black
Gerade einmal ein halbes Jahr nachdem „Maschinen wie ich“ erschienen ist, liegt nun schon wieder ein Roman von Ian McEwan vor. Mangelnden Fleiß kann man dem Briten also nicht vorhalten, auch wenn „Die Kakerlake“ fast 300 Seiten weniger hat als sein viskoser Vorgänger. In dieser kruden Brexit-Satire will Großbritannien nicht bloß aus der EU austreten, sondern gleich die ganze Logik der Wertschöpfung auf den Kopf stellen und den Geldfluss umkehren: Man muss für seinen Job bezahlen und kriegt fürs Einkaufen Geld. Das Horten von Bargeld ist verboten, Vermögen werden mit hohen Negativzinsen belegt.
Das Ganze nennt sich „Reversalismus“ und entwickelt sich vom amüsanten Gedankenexperiment schnell zur Doktrin der gnadenlos populistisch agierenden Partei, die den Premierminister stellt. Dieser erwacht eines Morgens „aus unruhigen Träumen“ und findet sich „in eine ungeheure Kreatur verwandelt“. Mit dieser Kafka-Paraphrase beginnt der Roman, bloß dass Gregor Samsa hier Jim Sams heißt, in Wirklichkeit eine Kakerlake ist, sich in seiner Menschengestalt und als britischer Premier aber nichtsdestotrotz prächtig zurechtfindet und erfreut feststellt, dass auch (fast) alle anderen Kabinettsmitglieder Kakerlaken in Menschengestalt sind: Kafka meets „Men in Black“. All das ist weder nachvollziehbar noch logisch und von sehr bescheidenem Witz: Am Ende eines Telefonats mit dem dauertwitternden US-Präsident Archie Tupper fragt Sams diesen, ob er auch einmal sechs Beine gehabt habe – bruhaha!
Eine geglückte Satire entstellt reale Verhältnisse zur Kenntlichkeit. „Die Kakerlake“ verfährt „reversionistisch“ und verwandelt Wirkliches – Klimawandel und #MeToo werden auch noch „mitgenommen“ – in eine hanebüchene Fiktion, die bestätigt, was man ohnedies schon gewusst hat: Politiker vom Typus eines Boris Johnson sind manipulativ und narzisstisch, scheren sich einen Dreck ums Gemeinwohl und gehen über Leichen. Der Erkenntnisgewinn tendiert gegen null, das Lesevergnügen ebenfalls.
Klaus Nüchtern in Falter 48/2019 vom 29.11.2019 (S. 34)
ISBN | 9783257071320 |
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Erscheinungsdatum | 27.11.2019 |
Umfang | 144 Seiten |
Genre | Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945) |
Format | Hardcover |
Verlag | Diogenes |
Übersetzung | Bernhard Robben |