Österreichs geheime Dienste
Seit dem Skandal rund um die Hausdurchsuchungen im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sind Österreichs Nachrichtendienste in aller Munde. Zugleich herrscht das Gefühl vor, nicht wirklich betroffen zu sein – ganz gleich, ob es um Spionage, Cyberkrieg, Terrorismus oder „hybride“ Bedrohungen geht. Grund dafür ist, dass es an Kontext und vor allem an historischer Erinnerung mangelt. Denn Österreichs Nachrichtendienste sind ausgesprochen verschwiegene und „gesichtslose“ Apparate. Das hat natürlich gute Gründe.
Zum ersten Mal wird in diesem Buch eine quellengestützte Überblicksgeschichte der österreichischen Nachrichtendienste seit 1945 vorgelegt. Aufgrund des schwierigen Zugangs zu Dokumenten kann es keine Organisations-, sondern eine „Fallgeschichte“ sein: von der Entstehung des Filmklassikers „Der dritte Mann“ vor mehr als 70 Jahren in Wien, über die Fahndung nach NS-Kriegsverbrechern, bis hin zum Kampf gegen Bedrohungen wie internationaler Terrorismus, Waffenhandel und Spionage.
Vom „Dritten Mann“ zu Herbert Kickl
Thomas Rieglers Buch „Österreichs geheime Dienste“ bietet sich als Weihnachtsgeschenk für Herbert Kickls Nachfolger im Innenressort an
Es hatte minus sieben Grad, als am 28. Februar 2018 fünf Personen an der Pforte des BVT-Gebäudes klingelten. Sie seien vom Landeskriminalamt Wien und seien zu einer Besprechung geladen. Kaum im Gebäude, zeigten die Eindringlinge ihr wahres Gesicht. Sie legten „Polizeiüberwurfwesten“ an und hatten außerdem noch einiges im Gepäck: „Bewaffnet: Glock 19, verdeckt getragen, Rammen für Notfall in den Taschen“, gab Oberst Preiszler später im Untersuchungsausschuss zu Protokoll. Denn: „Es ist ja doch nicht ohne, ins BVT einzudringen.“
Allerdings. Was wie der Anfang eines mittelschlechten Krimis klingt, wurde später als BVT-Skandal berühmt. Der frisch angelobte Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) hatte das schwarze Netzwerk im Innenministerium trockenlegen wollen und deshalb das eigene Ministerium überfallen lassen. Darüber wurde längst breit berichtet. Thomas Riegler aber, Researcher am Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies an der Uni Graz, bereitet die BVT-Affäre nicht nur noch einmal detailliert auf, er bettet sie auch in eine aufschlussreiche Geschichte der austriakischen Sicherheitsdienste ein.
„Österreichs geheime Dienste. Vom Dritten Mann bis zur BVT-Affäre“ beginnt mit Alfred Redl, der 1913 am Vorabend des Ersten Weltkriegs als russischer Spion enttarnt wurde. Der ehemals stellvertretende Leiter des Evidenzbüros, des ersten militärischen Geheimdienstes Österreichs, hatte ab 1903 für das zaristische Russland gearbeitet, später auch für Frankreich und Italien, und die österreichisch-ungarischen Kriegspläne auf dem Balkan verraten. Redl wurde in den Selbstmord getrieben.
Als Drehscheibe der internationalen Spionageszene erlangte Wien nach dem Zweiten Weltkrieg Bedeutung. Der Film „Der dritte Mann“, weltberühmt durch Orson Welles als Harry Lime und die Musik des Zitherspielers Anton Karas, gilt als Symbol dafür. Im BVT soll „quasi als Hommage“ bis heute ein Plakat des Filmes hängen.
Der Film ist allerdings kein Geheimdienstdrama, er handelt von einem Schwarzmarktschieber. Riegler macht sich dennoch die Mühe, die Hintergründe des fiktiven Dramas zu beleuchten, und bringt dabei eine Reihe von hübschen Geheimdienstverbindungen zum Vorschein. Er führt seine Leser und Leserinnen von den Wiener Katakomben in die Rote Bar des Hotels Sacher, wo einst der britische Geheimdienst logierte.
Auf knapp 300 Seiten bereitet er in einem historischen Rückblick die wichtigsten Spionagegeschichten der Zweiten Republik auf. Darunter die Jagd auf den Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann im Ausseerland. Oder der Fund eines Waffenlagers in einem Lainzer Schrebergarten. Die Briten hatten es 1945 angelegt, als noch die Befürchtung bestand, die Sowjetunion könnte sich Österreich doch ganz einverleiben. Riegler untersucht auch den Mythos des Schatzes im Toplitzsee – die Nazis hatten bei Kriegsende dort Falschgeld versenkt – und den Fall Lapusnik, den Riegler als möglichen österreichischen Giftmord à la Skripal behandelt.
Wenn er seine Leser auch manchmal in einer Flut von Details, Fußnoten und Assoziationen zu ertränken droht, ist Rieglers Intention am Ende ganz klar. Im historischen Rückblick zeigt sich, schreibt der Autor, dass „viele Probleme des österreichischen Staatsschutzes im System selbst angelegt sind“. Je mehr dokumentiert werde, umso schwerer seien die Erkenntnisse zu ignorieren.
Jetzt, da Kickls Spuk im Innenministerium vorbei ist, könnte man seinem Nachfolger „Österreichs geheime Dienste“ unter den Weihnachtsbaum legen.
Tessa Szyszkowitz in Falter 49/2019 vom 06.12.2019 (S. 22)
ISBN | 9783903110502 |
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Erscheinungsdatum | 10.10.2019 |
Umfang | 328 Seiten |
Genre | Sachbücher/Geschichte/Sonstiges |
Format | Hardcover |
Verlag | Klever Verlag |