

Unfug, Wahrheit und deutscher Mief
Sebastian Fasthuber in FALTER 12/2025 vom 21.03.2025 (S. 37)
Wie aus dem Erben des Rowohlt-Verlags, der nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten wollte, ein eigensinniger Übersetzer und Mann mit Rauschebart und schließlich sogar ein Star des Literaturbetriebs wurde – diese erstaunliche Geschichte erzählt der Journalist Alexander Solloch in „Harry Rowohlt. Ein freies Leben“.
Der Biograf sprach dafür mit der Witwe Ulla Rowohlt und zahlreichen Weggefährten. Als wichtigste Quellen aber erwiesen sich die Briefwechsel des 1945 in Hamburg geborenen und 70 Jahre später ebendort verstorbenen Harry Rowohlt. Er war ein großer Briefschreiber und hat alles aufbewahrt.
Noch die nebensächlichste Kommunikation mit einem Amt konnte ihm stilistische und humoristische Höchstleistungen entlocken. Man darf annehmen, dass sich Rowohlt am Schreibtisch in erster Linie gern selbst gut unterhalten hat. Das beinhaltete zum Glück, auch andere nicht zu langweilen.
Der Banalität des Alltags konterte er, indem er gerne Unfug redete, die Kunst der Abschweifung praktizierte und flunkerte, was das Zeug hielt: „Man sollte eine gut erzählte Geschichte nicht durch die Wahrheit verderben.“
Harry Rowohlt hat von den frühen 1970ern an etwa 180 Bücher übersetzt und gerne auch ein bisschen verbessert, darunter A. A. Milnes „Pu der Bär“, zu dessen deutscher Brummbärenstimme er wurde, Werke des genial-irren Iren Flann O’Brien oder des US-Amerikaners Kurt Vonnegut.
Später wurde er auch als Vorleser in Buchhandlungen und Gemeindesälen legendär, weil er selten kürzer als vier Stunden vortrug, oft sogar noch länger, und währenddessen eine Flasche Whiskey vertilgte. „Schausaufen mit Betonung“, so nannte er das.
Immer neue Karrieren eröffneten sich ihm. In späteren Jahren wurde er ob seiner charakteristischen Baritonstimme auch noch zum Hörbuch-Star. Außerdem hatte er als Harry, der Penner, viele Jahre eine Nebenrolle in der TV-Serie „Lindenstraße“.
Bis er sich so frei entfalten konnte, musste er sich allerdings von seinem Erbe befreien. Die Geschichte der Familie Rowohlt ist der weit weniger launige Teil dieser Biografie.
Als Sohn des Verlegers Ernst Rowohlt und der Schauspielerin Maria Pierenkämper schien sein Weg vorgezeichnet. Zusammen mit seinem älteren Halbbruder Heinrich Maria Ledig-Rowohlt sollte er einmal den Verlag führen. Als Kind wurde er vom Vater auf Funktionieren und Gehorchen gedrillt.
Er entwickelte einen Groll auf die Eltern. Die Art des Grolls verriet schon, was für ein außergewöhnlicher Mensch aus ihm werden sollte. Mit zwölf sagte er zu einem Freund: „Ich will jetzt zum Judentum übertreten. Und wenn mein Vater mich wieder schlägt, lasse ich in die Zeitung setzen: ,Deutscher schlägt Juden!‘“
Wohlgemerkt war Rowohlt damals ein nicht nur unglaublich erfolgreicher, sondern auch fortschrittlicher Verlag. Harry Rowohlt musste dennoch ausscheren, um den deutschen Mief ganz hinter sich zu lassen und seinen eigenen Weg zu beginnen.