

Der Plan, der aus dem Furzzimmer kam
Gerlinde Pölsler in FALTER 20/2016 vom 20.05.2016 (S. 19)
Mit der Biografie des Massenmörders Anders Breivik legt die Journalistin Åsne Seierstad ein wuchtiges Zeitdokument vor
Ein Junge schlug vor, dass sie sich in verzerrten Positionen auf den Boden legten und tot stellten. Zum Flüchten war es nun ohnehin zu spät. Bano warf sich auf die Seite, einen Arm unter sich, den anderen seitlich ausgestreckt. … Wenige Meter von ihnen entfernt erreichte der uniformierte Mann den kleinen Hügel. ‚Wo zur Hölle ist er?‘, fragte er. Niemand antwortete ihm. Er begann am rechten Rand der Gruppe. Zuerst erschoss er einen Jungen. Dann erschoss er Bano.“
Für die Biografie von Anders Breivik, der am 22. Juli 2011 durch eine Bombe im Osloer Regierungsviertel und ein Massaker auf der Ferieninsel Utoya 77 Menschen tötete, hat Åsne Seierstad akribisch recherchiert. Die norwegische Journalistin hat jeden kontaktiert, der je näher mit ihm zu tun hatte. Außerdem hat die Autorin alle Dokumente gelesen, ob neue der Polizei oder alte der Jugendbehörden: Breiviks instabile Mutter hatte die Kinder zeitweise abgeben wollen, der Vater sich kaum um ihn gekümmert.
Seierstad tut weder so, als habe Breivik nichts mit der Gesellschaft zu tun, der er entstammt, noch entlässt sie ihn aus seiner Verantwortung. Sie zeigt, dass er in vielem wie Tausende andere Zeitgenossen tickte: Reich will er werden und berühmt. Doch ob als Graffitisprayer oder in der aufsteigenden rechten Fremskrittspartiet, er bleibt ein No-Name. Mit 27 Jahren x-mal gescheitert, zieht er zurück zu seiner Mutter und verschanzt sich fünf Jahre lang in seinem „Furzzimmer“, wie er es nennt. Im Spiel „World of Warcraft“ ist er erstmals ein King. Später verlegt er sich auf Online-Attacken auf Muslime und Frauen. Mehrmals hätte er Gelegenheiten gehabt, vom radikalen Weg noch abzubiegen. Doch Breivik lässt sie ungenutzt: Vom Furzzimmer aus wälzt er Anschlagspläne und beschafft sich Waffen.
Seierstad dokumentiert aber auch die Geschichten seiner Opfer, die meisten Mitglieder der sozialdemokratischen Jugend. Wie eben Bano. Wir sind dabei, wie Banos Vater deren Mutter kennenlernt und wie die junge Familie aus dem Irak flieht. „‚Einer von uns‘ ist auch ein Buch über Zugehörigkeit und Gemeinschaft“, schreibt Seierstad. Banos höchstes Ziel war es, „eine von uns“ zu werden. Sie hatte das geschafft. Breivik dagegen war es nie gelungen, und „am Ende entschied sich der Täter, aus der Gemeinschaft auszusteigen und sie so brutal wie möglich zu verletzen.“