

Wenn ein Autor das gleiche Pech hat wie sein Held
Nicole Scheyerer in FALTER 41/2018 vom 12.10.2018 (S. 12)
Dawit Kldiaschwilis tragikomischer Klassiker „Samanischwilis Stiefmutter“ erscheint erstmals auf Deutsch
Der tüchtigste aller jüngeren Erzähler ist ohne Zweifel Dawit Kldiaschwili, welcher mit Humor das Landleben in seiner Heimat Imeretien malt“, schrieb ein in Tiflis lebender deutscher Journalist 1903 in seinem Buch über „das georgische Volk“. Im Museum, das dem Autor in Georgien gewidmet ist, kann man heute noch Manuskripte, Fotos und Möbel sehen. Sein populärer Roman „Samanischwilis Stiefmutter“ von 1897 wurde nun erstmals ins Deutsche übersetzt.
Kldiaschwilis Werke spielen in dem Milieu, aus dem er selbst stammte. Im Jahr 1862 wurde er in eine Familie absteigender Kleinadeliger hineingeboren. Im Nachwort schreibt Übersetzerin Rachel Gratzfeld, dass man solche verarmten Aristokraten als „Herbstfürsten“ bezeichnete, weil diese das ganze Jahr von dem zehren mussten, was ihnen von der herbstlichen Ernte blieb.
Bei Platon, wie der Autor seine Hauptfigur spöttisch getauft hat, erinnert nur mehr der Name an dessen noble Herkunft. Der Sohn des verwitweten Bekina ist fleißig und bringt mit seinen kargen Einkünften gerade die kinderreiche Familie über die Runden. Das Drama setzt ein, als sein Vater ihm eröffnet, wieder heiraten zu wollen. Der einzige männliche Nachkomme ist schockiert; mit einem Spross aus neuer Ehe müsste er sein ohnehin bescheidenes Erbe teilen.
Nachdem er seinem Vater eine neue Ehe schwer verbieten kann, beschließt Platon, dem Alten selbst eine Frau zu suchen. Wobei die Braut im besten Falle eine zweifache Witwe ohne Kinder sein sollte, denn nur bei einer offensichtlich Unfruchtbaren kann der Filius sichergehen, dass ihm keine späte Konkurrenz erwächst.
Die darauffolgende Irrfahrt steckt voll schwarzem Humor. Nichts Gutes verheißt schon der dürre, schwache Gaul, neben dem Platon hergeht, weil ein Aristokrat standesgemäß mit Pferd unterwegs sein muss. Begleitet wird er von seinem Schwager Kiril, dem Klischee des trunk- und streitsüchtigen Kaukasiers. Der Saufbold bringt Platon aber weniger Unheil als der hinterlistige Schnorrer Aristo, der ihm seine verwitwete Tante Elene als Stiefmutter andreht.
In der Theaterfassung zählt „Samanischwilis Stiefmutter“ zu den beliebtesten Stücken in Georgien; 1926 und dann noch einmal 1977 wurde der tragikomische Roman verfilmt. Seinen kritischen Realismus charakterisierte der Schriftsteller selbst als „Lachen durch Tränen hindurch“. So kommt etwa einmal ein demoliertes Haus vor, das zwei Brüder im Erbstreit „geteilt“ haben. Sehr zu ihrer Überraschung konnten sich die beiden Streithansln aus dem Baumaterial aber keine zwei neuen Häuser bauen.
Während die Männer in Achaluchi (Hemd), Tschocha (Mantel) und Papachi (Pelzhut) stets nur den Tunnelblick auf ihre eigenen Wünsche und Ziele richten, halten Kldiaschwilis weibliche Romanfiguren Tugenden wie Geduld, Hilfsbereitschaft gegenüber Schwächeren oder Gastfreundschaft hoch.
Klarerweise steigen sie damit schlechter aus. „Gesegnet sei mir Gottes Allmacht, ich bin in seiner Hand. Er hat mich geschaffen, um Schmerz und Leid zu erdulden“, ruft die geschwängerte Elene am Gipfel ihres Unglücks aus. Voll Witz und fatalistischer Entschlossenheit treibt Kldiaschwili den Untergang von Platon voran. Der Antiheld sieht keine Alternative zu dem von ihm imaginierten Unheil und macht doch erst durch diese fixe Vorstellung alles kaputt.
Interessanterweise erlebte, wie man dem Nachwort entnehmen kann, der Schriftsteller selbst ein ähnliches Schicksal. Auch Kldiaschwilis betagter Vater heiratete noch einmal und brachte den Sohn damit in Bedrängnis.
Na kein Wunder, dass der Autor die Psychologie seinen Protagonisten so gut verstanden hat, denkt man da. Die Ironie besteht freilich darin, dass Kldiaschwilis Stiefmutter erst 15 Jahre nach dem Erscheinen seines Erfolgsromans auf den Plan trat.