

Seefahrer, Galeeren, Handel und Hafen
Thomas Askan Vierich in FALTER 41/2013 vom 11.10.2013 (S. 40)
Geschichte: David Abulafia legt eine lebendige und umfangreiche Biografie des Mittelmeers vor
Milano Marittima, Grado, Zadar, Kreta, Djerba, Taormina, Marseilles, Mallorca: Sehnsuchtsorte von uns Mitteleuropäern. Das Mittelmeer ist unsere kollektive Badewanne, seine Landschaften, Küchen, Städte und Strände sind Projektionsfläche unserer Sehnsüchte nach Süden. Das Mittelmeer ist auch "unser Meer".
"Mare nostrum" nannten es die Römer (und Mussolini). Die Römer waren die Einzigen, die das mit vollem Recht tun konnten. Die ersten beiden Jahrhunderte nach Christus herrschte Friede rund ums Mittelmeer. Die Römer hatten alles im Griff – und der Handel blühte.
Das war nicht immer so. Meistens wurde das Mittelmeer von Eroberern und Piraten heimgesucht – seien es in der Antike die Etrusker, im Mittelalter die unter christlicher Fahne segelnden Johanniter (die später Malta gegen die Osmanen verteidigten) oder die Korsaren, eine wilde Meute von Freibeutern aus aller Herren Länder, die sich oft in den Dienst des Halbmonds stellten. Der Sklavenhandel war bis in die Neuzeit ein sehr einträglicher Handelszweig: Immer wieder wurden Inseln und Küsten überfallen, um die Bewohner in die Sklaverei zu verschleppen.
All das beschreibt der britische Historiker David Abulafia, dessen sephardische Familie 1492 aus Spanien vertrieben wurde. Berühmt und wegen seiner kritischen Darstellung umstritten ist sein Buch "Herrscher zwischen den Kulturen. Friedrich II. von Hohenstaufen" (1991). Abulafia hat sich mit der italienischen und der spanischen Geschichte beschäftigt.
All das fließt in seine über 900 Seiten starke "Biografie des Mittelmeers" ein – man darf von einem "Opus magnum" sprechen. Interessant ist die Perspektive: Abulafia beschränkt sich tatsächlich auf das Meer und die unmittelbare Küstenregionen – vor allem Handel und Seeschlachten, der Fischfang gibt historiografisch wenig her.
Er beschreibt, wie es auf den berüchtigten Galeeren zuging, versucht anhand spärlicher Quellen auch die ganz frühen Kulturen im östlichen Mittelmeerraum zum Leben zu erwecken, berichtet von einzelnen Händlern oder Piraten, erzählt deren Lebensgeschichte, zitiert aus ihren Briefen und Hinterlassenschaften. Das Ergebnis ist ein sehr lebendiges Bild von den "dunklen Jahrhunderten" bis zum Zweiten Weltkrieg.
Um dieses eigentlich unüberschaubare Material in den Griff zu bekommen, streift er die ganz großen Ereignisse nur kursorisch. "Unser" Karl der Große taucht bei ihm nur einmal als "inzestuöser Massenmörder" auf. Detaillierter als über die sattsam bekannten Römer schreibt er über deren Erzfeinde, die Karthager. Statt vom kastilischen Spanien unter den Habsburgern berichtet er vom katalanischen Königreich auf Mallorca.
Auch wenn manche Seeschlacht in unappetitlicher Ausführlichkeit vorkommt, hat es ihm eigentlich die friedliche Seefahrt angetan: Prägend für die Geschichte (und den Alltag) des Mittelmeers war der Handel, der erst nur küstennah funktionierte. Denn das Mittelmeer kann wesentlich rauer sein, als wir das oftmals von der vor sich hin dümpelnden nördlichen Adria kennen.
Je besser die Schiffe und die nautischen Fähigkeiten ihrer Besatzungen wurden, in desto entferntere Welten fuhren die geschäftstüchtigen Händler – von der Levante bis nach Gibraltar.
Die seefahrenden Händler sind in der Darstellung von Abulafia die Kulturträger der Geschichte – nicht Generäle und Könige. Sie traten in Kontakt mit fremden Kulturen und sorgten dafür, dass das Mittelmeer immer multikultureller wurde.
Hafenstädte wie Saloniki (Tessaloniki), Smyrna (Izmir), Alexandria oder Karthago (Tunis) waren brodelnde melting pots – wovon heute meist nichts mehr übriggeblieben ist. Dafür sorgten Vertreibungen und Pogrome, die sich im Mittelalter vor allem gegen die Juden richteten und später aus nationalistischen Gründen gegen alle möglichen ethnischen Minderheiten.
Wer dieses Buch lesen möchte, muss einen langen Atem mitbringen: Wie in den Romanen Tolstois gibt es eine unüberschaubare Zahl an Handlungssträngen und Protagonisten. Dafür bekommt man ein sehr lebendiges Bild von Zeiten und Regionen, über die man als Mittel- und Nordeuropäer bislang eher weniger wusste.