

So bleibst du dir treu. Und so vergeigst du es
Nikolaus Stenitzer in FALTER 41/2013 vom 09.10.2013 (S. 10)
Junot Diaz schickt sein Alter Ego in Beziehungskrise und Midlife-Crisis. Folgen möchte man ihm dorthin nur bedingt
Yunior ist wieder da. Junot Diaz hat die Figur, zu der er sich teilweise durch die eigene Biografie inspirieren ließ, schon früher eingeführt. Sein Debüt, der gefeierte Erzählband "Abtauchen", handelt von Yuniors Aufwachsen zwischen der Dominikanischen Republik und den USA. Und wie zuvor schon im Roman "Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao" tritt Yunior nun in Diaz' jüngstem Buch wieder als Erzähler, Gegenstand und mitunter sogar Adressat der Erzählung auf.
Auch die Sprache und die Erzähltechnik von "Und so verlierst du sie" hat der Autor schon in "Abtauchen" erfolgreich erprobt: Die einzelnen Erzählungen sind lose miteinander verbunden, die Figuren treten wiederholt auf. Auf diese Weise wird Spannung erzeugt, weil jede Geschichte eine neue Situation herstellt, die erst nach und nach preisgibt, ob und inwieweit sie sich auf bisher Gelesenes bezieht: Yunior ist einmal noch sehr jung, dann wieder erwachsen.
Yunior verschwindet und scheint doch präsent zu sein, selbst wenn er gar nicht vorkommt. Allerdings scheint Yunior diesmal auf seltsame Weise indisponiert. Vielleicht eine frühe Midlife-Crisis oder einfach ein temporäres Formtief.
An das, was Diaz in "Abtauchen" schon geleistet hat, kommen die meisten seiner jüngsten Erzählungen jedenfalls nicht heran, und das hat auch mit dem zu tun, was hier größtenteils verhandelt wird: Yunior hat seine Freundin betrogen; sie fliegt zwar noch einmal mit ihm in die Dominikanische Republik, verlässt ihn aber dann; Yunior hat seine Freundin betrogen und ihr – mit Beweisen konfrontiert – eine dermaßen blöde Lüge erzählt, dass sie ihn verlassen hat; Yunior hat seine Freundin betrogen, und zwar mit 50 verschiedenen Frauen, was sie ihm nicht verzeiht, worüber er seinerseits nicht hinwegkommt (dann aber doch).
Das ist zu viel von zu wenig, und das fällt schließlich auch auf Diaz' Technik zurück: Die Sprache, der Slang mit dem hohen Spanischanteil, der in den früheren Büchern selbstverständlicher wirkt, weil er auf den Ort verweist, an dem die Geschichten spielen, wirkt hier oft nur aufgesetzt.
Und das "Du", das in "Abtauchen" manchmal wirklich atemberaubende Momente der Nähe zum Erzählten erzeugen konnte, bekommt hier ebenfalls eine andere Funktion: "Deine Freundin erwischt dich beim Fremdgehen" – so beginnt die letzte Erzählung mit dem Titel "Liebe für Fremdgänger".
Das "Du" ist hier ein "Du weißt schon" – das Signal für ein Gespräch unter Männern, das Yunior mit sich selbst führt und aus dem kaum etwas anderes zu erfahren ist, als dass Männer fremdgehen, sich dann schlecht und schuldig fühlen, bereuen, ihre mamí zurückhaben wollen, sich aber irgendwann mithilfe verschiedener Strategien – Alkohol, Sport, Arbeit, andere Frauen – wieder beruhigen und etwas Neues anfangen: "weil du in deinem verlogenen Fremdgängerherzen weißt, dass wir manchmal nicht mehr bekommen als einen Anfang".
Wenn es das ist, was die New York Times meinte, als sie Junot Diaz als "streetwise" bezeichnete, dann ist die Straße auch nicht mehr das, was sie einmal war.
Besser wird es, wenn Yunior sich zurückzieht. Die Erzählung "Otravida, Otravez" ist aus der Perspektive einer Dominikanerin in den USA geschrieben: Yasmin ist seit fünf Jahren im Land und arbeitet in der Wäscherei eines Krankenhauses. Als es ihrem Partner Ramón endlich gelingt, ein Haus für sie beide zu kaufen, ist das für Yasmin kein Grund zur Begeisterung.
Ramón hat in Santo Domingo noch Frau und Kinder, was nicht ungewöhnlich ist, aber dennoch eine latente Bedrohung darstellt. Die Beziehung zwischen den beiden ist nicht sonderlich liebevoll, sondern bloß das, was möglich ist – ähnlich dem neuen Haus: ein "neues Leben" (otra vida), aber eben nur "wieder einmal" (otra vez).
Hier wird unaufgeregt über ein Leben ohne Illusionen erzählt, und das funktioniert besser als alles, was Yunior zu bieten hat.
Vielleicht gönnt Junot Diaz seinem Helden ja einfach einmal ein paar Jahre Pause.