Sachbuch-Bestenliste Juli 2025

Die Verschwundenen von Londres 38

Über Pinochet in England und einen Nazi in Patagonien
624 Seiten, Hardcover
€ 29.9
-
+
Lieferung in 2-5 Werktagen

Bitte haben Sie einen Moment Geduld, wir legen Ihr Produkt in den Warenkorb.

Mehr Informationen
ISBN 9783103971255
Erscheinungsdatum 23.04.2025
Genre Sachbücher/Geschichte/Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
Verlag S. FISCHER
Übersetzung Thomas Bertram, Henning Dedekind
LieferzeitLieferung in 2-5 Werktagen
HerstellerangabenAnzeigen
S. Fischer Verlag GmbH
produktsicherheit@fischerverlage.de
Unsere Prinzipien
  • ✔ kostenlose Lieferung innerhalb Österreichs ab € 35,–
  • ✔ über 1,5 Mio. Bücher, DVDs & CDs im Angebot
  • ✔ alle FALTER-Produkte und Abos, nur hier!
  • ✔ hohe Sicherheit durch SSL-Verschlüsselung (RSA 4096 bit)
  • ✔ keine Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte
  • ✔ als 100% österreichisches Unternehmen liefern wir innerhalb Österreichs mit der Österreichischen Post
Kurzbeschreibung des Verlags


Der bekannte MenschenrechtsanwaltPhilippe Sands erzählt die atemberaubende Geschichte des einstigen SS-Offiziers Walter Rauff, der 1949 nach Chile flüchtete. Dort steht er bald im Dienst der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet. Im Keller des Hauses Londres 38 ist er an brutalen Verhören und Morden des Geheimdienstes beteiligt. Viele Jahre später, 1998, wird der frühere Diktator Pinochet in London verhaftet. Auf Seiten der Anklage wohnt Philippe Sands dem historischen Gerichtsverfahren bei. In einer einzigartigen Mischung aus Detektivgeschichte und Gerichtsdrama erzählt er von seiner Recherche über die Verbrechen der Junta und die Rolle Walter Rauffs. Dabei entsteht das Psychogramm zweier Männer, die vor Folter und Mord nicht zurückschrecken., und zugleich ein spannender Bericht über eines der wichtigsten internationalen Strafverfahren seit Nürnberg und dessen weitreichende Folgen.


Mehr Informationen
ISBN 9783103971255
Erscheinungsdatum 23.04.2025
Genre Sachbücher/Geschichte/Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
Verlag S. FISCHER
Übersetzung Thomas Bertram, Henning Dedekind
LieferzeitLieferung in 2-5 Werktagen
HerstellerangabenAnzeigen
S. Fischer Verlag GmbH
produktsicherheit@fischerverlage.de
Unsere Prinzipien
  • ✔ kostenlose Lieferung innerhalb Österreichs ab € 35,–
  • ✔ über 1,5 Mio. Bücher, DVDs & CDs im Angebot
  • ✔ alle FALTER-Produkte und Abos, nur hier!
  • ✔ hohe Sicherheit durch SSL-Verschlüsselung (RSA 4096 bit)
  • ✔ keine Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte
  • ✔ als 100% österreichisches Unternehmen liefern wir innerhalb Österreichs mit der Österreichischen Post
FALTER-Rezension

"Der Begriff Genozid wird instrumentalisiert"

Tessa Szyszkowitz in FALTER 19/2025 vom 09.05.2025 (S. 23)

Philippe Sands freut sich schon auf Wien, sagt er im Falter-Interview. Aber in Wahrheit ist seine Freude gespalten. Just am 9. Mai, wenn er sein neues Buch im österreichischen Parlament vorstellt, wollte er nämlich gleichzeitig an einem denkwürdigen Ereignis in der Ukraine teilnehmen. Dort wird an diesem Tag ein Internationaler Sondergerichtshof für die "Verbrechen der Aggression" - das ist der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine - aus der Taufe gehoben.
Der 9. Mai ist dafür der geeignete Tag, am Europatag beschwört der Kontinent Frieden und Einheit. Und Russlands Krieg gegen die Ukraine bedroht sowohl den Frieden als auch die Einheit Europas.

Als internationaler Menschenrechtsanwalt hat Philippe Sands sich seit Beginn des Krieges dafür eingesetzt, dass es dieses Sondertribunal geben soll. Denn, so der Tenor seiner Trilogie "Rückkehr nach Lemberg", "Die Rattenlinie" und "Die Verschwundenen von Londres 38. Über Pinochet in England und einen Nazi in Patagonien": Das internationale Recht ist ein Hebel, um Diktatoren zur Verantwortung zu ziehen.

Falter: Herr Sands, in Ihren Büchern gibt es eine Mischung aus Geschichtsschreibung, Rechtsfall und Detektivgeschichte. Sie recherchieren akribisch vor Ort, bauen immer persönliche Verbindungen auf - auch zu Ihrer eigenen Familie. Geht es Ihnen um Gerechtigkeit? Oder wollten Sie Krimiautor werden?

Philippe Sands: Einer meiner Londoner Nachbarn war viele Jahre lang der Schriftsteller John Le Carré, der mit bürgerlichem Namen David Cornwell hieß. Wir haben mehr als 20 Jahre lang sehr eng zusammengearbeitet. Le Carré verachtete Anwälte. Und in jedem seiner Romane gab es einen schrecklichen Anwalt. Meine Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass der Anwalt wie ein Anwalt sprach, handelte und sich auch so kleidete. Es war eine sehr begrenzte Rolle, aber ich habe es genossen, sie zu spielen. So verbrachten wir viel Zeit miteinander. Er brachte die Manuskripte rüber und ich musste sie lesen. So lernte ich von ihm die Kunst, ziemlich komplexes und manchmal technisches Material lesbar zu machen, damit der Leser umblättern und weiterlesen möchte.

Geben Sie uns bitte ein Beispiel.

Sands: Im neuen Buch habe ich eine dieser Techniken gleich im ersten Absatz verwendet. Ich fügte einen Begriff ein, den Verweis auf einen Kühltransporter. Der Leser versteht, dass der Begriff aus einem bestimmten Grund dort platziert wurde. Das ist eine der Techniken, die Le Carré mir beigebracht hat.

Diese Erzähltechnik hat schon der russische Dramatiker Anton Tschechow verwendet: Wenn im ersten Akt ein Gewehr auf dem Tisch legt, wird es spätestens im letzten Akt abgefeuert. Sie erwähnen am Anfang Ihres neuen Buches "Die Verschwundenen von Londres 38" einen Kühl-Lkw und früher oder später landen wir bei Walther Rauff, der in Pinochets Folter-und Mordregime verwickelt war. Und der im Zweiten Weltkrieg den mobilen Vergasungswagen erfunden hat.

Sands: Das Buch bietet zwei große Enthüllungen. Die erste betrifft die Geschichte des chilenischen Diktators Augusto Pinochet in London. Und was wirklich passiert ist, um ihn von Großbritannien zurück nach Chile zu bringen. Darauf können wir später zurückkommen. Bei der zweiten Enthüllung geht es um eine Frage, die ich mir zu stellen begann, als ich begriff, dass Walther Rauff in Chile eine neue Karriere als Manager einer Königskrabbenkonservenfabrik begonnen hatte. Er war berüchtigt dafür, dass er in den Jahren 1941 und 1942 für den Betrieb der Gaswagen verantwortlich war, die unter der Nazi-Herrschaft durch Mittelund Osteuropa fuhren und Gruppen von etwa 50 oder 60 Menschen gleichzeitig umbrachten. Hunderttausende von Menschen kamen auf diese Weise ums Leben. Könnte es sein, dachte ich, dass dieser Nazi in einige der Verbrechen des Pinochet-Regimes verwickelt war? Gibt es eine direkte Verbindung von Hans Frank, dem Generalgouverneur von Polen im Dritten Reich, den ich in "Rückkehr nach Lemberg" beschrieben habe, über Otto Wächter, den Stellvertreter von Hans Frank, in der "Rattenlinie" und Walther Rauff bis hin zu den Verbrechen Augusto Pinochets?

Sie recherchierten das sehr detailreich, am Ende aber fragte ich mich: Wie viel davon ist bewiesen, was ist immer noch nur Gerücht?

Sands: Ich habe acht Jahre damit verbracht, Menschen zu interviewen, mir Dokumente anzusehen, und schließlich kam ich zu einer schrecklichen Schlussfolgerung. Wir haben Beweise dafür gefunden, dass einer der vielen Nazis, die nach Südamerika geflohen sind, tatsächlich direkt in die Verbrechen der Diktatur in einem dieser Länder verwickelt war. Wir haben herausgefunden, dass ein Mann, der in den Jahren 1941 und 1942 entsetzliche Dinge getan hat, auch in den Jahren 1974 und 1975 entsetzliche Dinge getan hat. Das ist schockierend.

Wissen wir jetzt gesichert, für welche Geheimdienste Rauff arbeitete? Und ob er tatsächlich Opfer aus Pinochets Foltergefängnissen verschwinden ließ?

Sands: Ich weiß von einer Person, Leon Gomez, die ausgesagt hat, dass er persönlich von Walther Rauff verhört und gefoltert wurde. Im Juli 1974, in der Londresstraße 38, einem Gebäude mitten im Herzen der Hauptstadt Santiago de Chile, das als Haftund Folterzentrum genutzt wurde und in dem die Gefangenen einfach verschwanden. Als ich vor zwei Wochen in Chile war, um das Buch in der spanischen Ausgabe vorzustellen, kam ein Herr auf mich zu. Er hielt das Buch in der Hand, hatte es aber noch nicht gelesen. Er sagte: "Ich bin sehr berührt und betroffen von dem, was Sie gesagt haben, weil ich von Walther Rauff in Londres 38 verhört wurde." Er war im Juni, Juli 1974 dort. Zur gleichen Zeit wie Leon Gomez. Sein Bericht war ident mit jenem von Gomez. Rauff habe nicht persönlich beim Foltern den Strom eingeschaltet oder Dinge in den Anus des Häftlings gesteckt. Er beobachtete, tippte Berichte auf einer Schreibmaschine und gab Anweisungen.

Ein eindrücklicher Fall von Straflosigkeit, weil es Rauff geschafft hat, nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang einfach weiterzuleben. Jeder wusste, was er getan hatte und dass er direkt verantwortlich für die Ermordung von 97.000 Juden war.

Sands: Viele der Menschen, die in den Gaswagen von Walther Rauff ums Leben kamen, waren aus Wien. Wie die Cousine meiner Mutter und ihre Tante. Cousine Hertha hätte ursprünglich 1939 mit meiner Mutter aus Wien nach Paris reisen sollen, mit dieser bemerkenswerten evangelisch-christlichen Missionarin, Miss Tilney. Sie hat meiner Mutter das Leben gerettet. Doch im Juli 1939 bockte Hertha Gruber, das kleine Mädchen, am Westbahnhof. Sie wollte nicht gehen. Sie wollte bei ihrer Mutter bleiben. Und drei Jahre später, 1942, wurde sie in einem der Wagen von Walther Rauff vergast.

In Ihren Büchern gibt es immer eine klare Verbindung zu Ihrer Familiengeschichte. Ihre Großmutter war aus dem heute ukrainischen Lemberg und Ihre Mutter aus Wien.

Sands: Ich bin Wiener. Ich bin ein Kind der österreichisch-ungarischen Monarchie.

Sie konnten für die Arbeit an "Rückkehr nach Lemberg" das Privatarchiv von Otto Wächter einsehen, das sein Sohn Horst aufbewahrt hatte. Wächter arbeitete unter Hans Frank, er war Gouverneur von Krakau und Galizien. Frank wurde in Nürnberg verurteilt und 1946 hingerichtet. Wächter aber entkam.

Sands: Ich bin seinem Sohn Horst Wächter dafür zutiefst dankbar. Es war sehr großzügig, dass er mir den Zugang zu diesem 10.000 Seiten starken Archiv erlaubt hat. Es ist jetzt öffentlich zugänglich und jeder kann es auf der Website des United States Holocaust Memorial Museum in Washington ansehen. Auch wenn ich mich manchmal frage, ob Horst es bereut.

Ich denke, das tut er. Ich bekam wie viele andere gerade ein E-Mail von ihm ...

Sands: Ich habe es auch erhalten. Er beschwert sich, dass ich ihn nicht zu den Veranstaltungen in Wien eingeladen hatte. Natürlich schrieb ich sofort zurück, um ihm zu sagen, dass er jederzeit willkommen ist. Und ich würde ihn sehr gerne einladen. Aber, Sie werden es bemerkt haben, wir haben unterschiedliche Ansichten über die Rolle und Schuld seines Vaters.

Er hält seinen Vater für unschuldig, während Sie ihn als zentralen Täter des Holocaust beschreiben. Greifen Sie im neuen Buch "Londres 38" noch immer auf das Wächter-Archiv zurück?

Sands: Ja. Ich fand darin einen maschinengeschriebenen Brief. Es ist ein absolut faszinierendes Dokument. Ein Brief aus Damaskus, Syrien, an Otto Wächter vom Mai 1949. Ich interessierte mich für den Verfasser des Briefes: Walther Rauff. Er war nach dem Zweiten Weltkrieg über Syrien nach Südamerika geflohen. Und das ist der Punkt, an dem meine Geschichte wirklich beginnt.

Es geht in Ihrem neuesten Buch um den chilenischen Diktator Augusto Pinochet, der 1998 in London verhaftet wurde. Es ist etwas kompliziert: Der Haftbefehl kam aus Spanien, weil unter Pinochets Opfern in Chile auch spanische Staatsbürger waren. Letztendlich wurde Pinochet jedoch aus gesundheitlichen Gründen freigelassen und kehrte im März 2000 nach Chile zurück. Ist das ein weiterer eklatanter Fall von Straflosigkeit?

Sands: Nein, es war keine absolute Straflosigkeit. Am Ende gab es ein geheimes Abkommen zwischen Chile und dem Vereinigten Königreich, dass Pinochet zurückkehren kann. Es wurde behauptet, er sei nicht verhandlungsfähig und könne deshalb nicht nach Spanien überstellt werden. Aber die Briten bestanden gegenüber Chile auf einem Zugeständnis: dass Pinochet seine Immunität verliert und daher gegen ihn ermittelt und er gegebenenfalls angeklagt werden kann. Das geschah. Zum Zeitpunkt seines Todes im Dezember 2006 stand er unter Hausarrest, und er war in einer ganzen Reihe von Fällen angeklagt worden. Pinochet wurde nie verurteilt, aber er starb als gebrochener Mann. Das wirft die komplexe Frage auf: Wenn schreckliche Verbrechen geschehen, wo sollen sie gerichtet werden? Das ist derzeit ein sehr reales Problem und betrifft die Ukraine und Russland ebenso wie Israel, Palästina, Gaza und den Sudan.

Fangen wir mit Russland an. Es gibt einen Haftbefehl aus dem Jahr 2023 gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ausgestellt wurde. Es geht um den Diebstahl ukrainischer Kinder. Ist es eine gute Idee, einen amtierenden Präsidenten vor einen internationalen Strafgerichtshof zu bringen?

Sands: Der Staatsanwalt des IStGH wollte wohl die Schaffung eines Sondertribunals für die Verbrechen Russlands in der Ukraine verhindern. So schrecklich es ist, dass Putin diese Kinder entführt hat. Ich habe selbst Kinder, es ist eine entsetzliche Vorstellung. Trotzdem sind diese Verbrechen nicht so schwerwiegend wie die, die seit Jahren in diesem Krieg in der Ukraine passieren. Ich bedaure zudem, dass der IStGH beschlossen hat, eine öffentliche Anklage für ein vergleichsweise geringfügiges Verbrechen zu erheben. Der IStGH hat unlängst zu Recht beschlossen, dass solche Anträge auf Verhaftung und Anklage in Zukunft geheim gestellt werden müssen.

Vielleicht war es der einzige Weg, Anklage gegen Putin zu erheben?

Sands: Ich habe schon im Februar 2022 einen Artikel in der Financial Times geschrieben, in dem ich die Einrichtung eines Sondertribunals für diese sogenannten crimes of aggression vorschlug. Für diesen Straftatbestand im Völkerstrafrecht hat der IStGH bisher keine Gerichtsbarkeit in der Ukraine. Das soll sich jetzt ändern. Am 9. Mai wird in Lemberg ein bedeutsames Ereignis stattfinden, nämlich die Unterzeichnung des Statuts eines internationalen Tribunals für genau diese Art von Verbrechen der Aggression.

Das Verbrechen der Aggression ist ein Angriffskrieg?

Sands: Genau. Es ist eine Initiative des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba und des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Sie haben dafür auch mit Gordon Brown, dem ehemaligen britischen Premierminister, und vielen Juristen zusammengearbeitet, ich war ebenfalls dabei. Vor etwa einem Monat waren die Verhandlungen über den Entwurf eines Abkommens zwischen dem Europarat und der Ukraine zur Schaffung dieses Sondertribunals abgeschlossen. Österreich hat auch an der Ausarbeitung dieses Abkommensentwurfs mitgewirkt.

Wieso braucht es dieses Sondertribunal?

Sands: Es wird das erste Mal seit Nürnberg und Tokio 1945 und 1946 sein, dass wir einen Sondergerichtshof mit der Zuständigkeit für dieses spezielle Verbrechen der Aggression einrichten. Das ist also historisch wichtig. Und es zeigt eine bemerkenswerte Solidarität zwischen den europäischen Ländern. Ich denke, jeder wird es unterstützen.

Außer Ungarn vielleicht. Als der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu ebenfalls vom IStGH angeklagt wurde - in seinem Fall wegen Kriegsverbrechen in Gaza -, lud Viktor Orbán, der Ministerpräsident von Ungarn, Netanjahu demonstrativ nach Budapest ein. Er hat ihn demonstrativ nicht verhaften lassen. Außerdem kündigte Orbán an, den Internationalen Strafgerichtshof zu verlassen. Wird die internationale Gerichtsbarkeit geschwächt, wenn wir demokratisch gewählte Politiker anklagen?

Sands: Ungarn hat sich offensichtlich von der Idee der Rechtsstaatlichkeit losgelöst. Deshalb lädt Orbán einen Angeklagten ein, obwohl das unvereinbar ist mit den nationalen Verpflichtungen gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof. Ob jemand demokratisch gewählt ist oder nicht, ist egal. Das Problem mit Netanjahu ist das gleiche wie mit Putin: Ihre Staaten sind nicht Vertragspartei der Statuten des IStGH. Können sie trotzdem dort angeklagt werden, wenn sie in anderen Staaten Kriegsverbrechen begehen? Die Meinungen sind geteilt. Ich habe keinen Zweifel daran, dass massive Verbrechen in diesen Fällen begangen wurden. Die Frage ist, wie wir sie nennen. Ich persönlich finde es angesichts des Ausmaßes des Schreckens nicht so wichtig, ob man das Verbrechen dann Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Genozid nennt.

Halten Sie dann die Klage für gerechtfertigt, die Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) der Uno 2024 gegen Israel wegen Genozids eingebracht hat?

Sands: Der Begriff Genozid wird instrumentalisiert. Wie kein anderes Wort erregt er öffentliche Aufmerksamkeit. Sie erinnern sich vielleicht, dass zu Beginn des russischen Feldzugs gegen die Ukraine in Butscha offenbar schreckliche Verbrechen an Zivilisten stattfanden, die nicht an dem Konflikt beteiligt waren. Und in diesem speziellen Zusammenhang sagte der damalige amerikanische Präsident Joe Biden, dass das, was in Butscha passiert sei, nach Genozid aussehe. Von dem Moment blickte die ganze Welt auf Butscha. Das Gleiche passiert, wenn in Bezug auf die Verbrechen der Hamas am 7. Oktober 2023 von einem Genozid gesprochen wird. Man macht es, um Aufmerksamkeit zu erregen. So auch jene, die sagen, dass das, was in Gaza geschieht, ein Völkermord sei. Wir müssen einfach abwarten und sehen, was die internationalen Gerichte in Bezug auf diese Taten tun: ob sie sie als Verbrechen einstufen und als welche Art von Verbrechen.

Sie haben vor einem Jahr die Delegation der Palästinensischen Autonomiebehörde vor dem anderen internationalen Gericht, dem Internationalen Gerichtshof (IGH) der Uno, bei einer öffentlichen Anhörung vertreten. Es ging um ein Gutachten über die rechtlichen Folgen der Besetzung der palästinensischen Gebiete durch Israel. Der IGH befasst sich im Unterschied zum IStGH nicht mit individuellen Fällen, sondern mit Konflikten zwischen zwei Staaten.

Sands: Der Internationale Gerichtshof verfasste ein Gutachten, das der UN-Generalversammlung vorgelegt wurde: Das palästinensische Selbstbestimmungsrecht wird durch Israels Besetzung palästinensischer Gebiete verletzt. Israel wird aufgefordert, seine Verstöße zu beenden. Ich wurde eingeladen, als einer der Anwälte für Palästina zu sprechen, für die Palästinensische Autonomiebehörde. Das Gericht entschied, dass die Besetzung von Teilen des Territoriums von Palästina durch Israel im Westjordanland und auch im Gazastreifen rechtswidrig ist.

Warum haben Sie das gemacht?

Sands: Es gehört zur gesellschaftlichen Aufgabe englischer Anwälte, vor internationalen Gerichten zu argumentieren. Ich bin nicht in die aktuellen Fälle involviert, die Israel und Palästina betreffen, aber ich beobachte sie mit großer Aufmerksamkeit.

weiterlesen