Im Herzen der Gewalt

Roman
224 Seiten, Hardcover
€ 20.6
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ISBN 9783103972429
Erscheinungsdatum 24.08.2017
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag S. FISCHER
Übersetzung Hinrich Schmidt-Henkel
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S. Fischer Verlag GmbH
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Kurzbeschreibung des Verlags


In seinem autobiographischen Roman ›Im Herzen der Gewalt‹ rekonstruiert der französische Bestsellerautor Édouard Louis die Geschehnisse einer dramatischen Nacht, die sein Leben für immer verändert.

Auf der Pariser Place de la République begegnet Édouard in einer Dezembernacht einem jungen Mann. Eigentlich will er nach Hause, aber sie kommen ins Gespräch. Es ist schnell klar, es ist eine spontane Begegnung, Édouard nimmt ihn, Reda, einen Immigrantensohn mit Wurzeln in Algerien, mit in seine kleine Wohnung. Sie reden, sie lachen, aber was als zarter Flirt beginnt, schlägt um in eine Nacht, an deren Ende Reda Édouard mit einer Waffe bedrohen wird.
Indem er von Kindheit, Begehren, Migration und Rassismus erzählt, macht Louis unsichtbare Formen der Gewalt sichtbar. Ein Roman, der wie schon ›Das Ende von Eddy‹ mitten ins Herz unserer Gegenwart zielt – politisch, mitreißend, hellwach.


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ISBN 9783103972429
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FALTER-Rezension

Aus den Nebeln des Vergessens

Matthias Dusini in FALTER 41/2017 vom 13.10.2017 (S. 10)

Zwei junge französische Autoren setzen sich mit den Wunden auseinander, die der Kolonialismus schlug

Die beiden Autoren Édouard Louis, Jahrgang 1992, und Joseph Andras, Jahrgang 1984, gehören zu einer jungen Generation französischer Literaten, die brisante politische und zeithistorische Themen aufgreifen. Louis’ Debütroman „Das Ende von Eddy“, in dem er von seiner Kindheit in ärmlichen Verhältnissen erzählt, wird oft ein literarisches Gegenstück zu Didier Eribons soziologischer Betrachtung „Rückkehr nach Reims“ genannt.
In seinem jüngsten Werk „Im Herzen der Gewalt“ nun geht es um das schwierige Verhältnis zwischen den Franzosen und den Einwanderern aus dem Maghreb, geschildert aus der Perspektive eines jungen Schwulen. Joseph Andras wiederum greift zu den Mitteln des historischen Romans, um an die französische Kolonialvergangenheit in Algerien zu erinnern.
In beiden Fällen wird die Erzählung von einem unerhörten Ereignis in Gang gesetzt. Und sowohl Louis als auch Andras verknüpfen politische Konflikte mit zwischenmenschlichen Dramen, Liebe und Sex drücken Hoffnungen und Enttäuschungen aus. Während die therapeutische Intimität von Édouard Louis einen eher ratlos hinterlässt, überzeugt Andras durch ein temporeiches Drama, das einem vergessenen Helden ein Denkmal setzt.

„Im Herzen der Gewalt“ beginnt mit einem romantischen Topos. In einer kalten Dezembernacht begegnet Édouard einem jungen Algerier und nimmt ihn mit aufs Zimmer. Aus leidenschaftlichem Sex wird rohe Gewalt, Reda, so der Name des Angreifers, würgt und vergewaltigt seinen Gastgeber. Der Ich-Erzähler schildert das traumatische Erlebnis in protokollarischer Genauigkeit und rekonstruiert auch seine Versuche, das Geschehen zu bewältigen.
Hier eröffnet sich eine zweite Ebene. Édouard besucht seine Schwester, die in einem spießigen Milieu lebt. Aus der Art und Weise, wie diese ihrerseits das Verbrechen ihrem Mann schildert, wird der Konflikt zwischen dem Ich-Erzähler und seiner Familie ablesbar, die Selbstwahrnehmung wird durch das Außen der Gesellschaft gebrochen. Obwohl Édouard das Opfer eines Migranten ist, kann er sich mit dem Rassismus und der Schwulenfeindlichkeit seiner Umgebung nicht abfinden.
Auch auf der Polizeistation, wo er Anzeige erstattet, hört Édouard aus den Fragen der Beamten fremdenfeindliche Untertöne heraus. Der Vater des Täters kam als Gastarbeiter nach Frankreich, eine demütigende Erfahrung. In seiner Welt ist jede Abweichung tabu. Muss man die kulturellen Hintergründe für das „hate ­crime“ nicht zu verstehen suchen? „Er begehrt dich und verabscheut sein Begehren zugleich. Er will dich für sein Begehren büßen lassen“, denkt sich Édouard während des Überfalls.

Als Gegenentwurf zum prekären Herkunftsmilieu und dem edlen, aber gewalttätigen Wilden arbeitet Louis die Welt seiner Freunde in die Geschichte ein, zu der unter anderem Didier (Eribon) gehört. Diese aus Neigung gewählte familiäre Gemeinschaft fängt das Verbrechensopfer auf, geduldig warten Geoffroy und Didier, bis sich Édouard erholt hat.
Obwohl Louis versucht, die Geschichte durch die Vervielfachung der ­Perspektiven zu brechen, bleibt der Text unentschieden zwischen Fiktion und Dokumentation hängen. Die Klarnamen Édouard und Didier legen nahe, dass der Autor diese Gewalterfahrung selbst gemacht hat. Die Verzweiflung, mit der der Erzähler versucht, gegen den Rassisten in sich anzukämpfen, erzeugt das Gefühl, dass er das Trauma noch nicht bewältigt hat. Krimiplot und therapeutisches Protokoll stehen einander gegenseitig im Weg.

Auch Joseph Andras arbeitete das Verhältnis zwischen Frankreich und Algerien auf, allerdings mit mehr Distanz. Sein Protagonist ist die historische Figur Fernand Iveton, ein französischer Arbeiter und kommunistischer Aktivist, der 1956 in einer algerischen Fabrik eine Bombe legte. Das nordafrikanische Land befand sich damals mitten im Bürgerkrieg mit der Besatzungsmacht.
Die Fakten sind bekannt und dienen der Story als Material: Das Attentat wird verraten, Iveton festgenommen und gefoltert. Trotz heftiger öffentlicher Kritik, etwa durch Jean-Paul Sartre, wird Iveton 1957 unter dem damaligen Justizminister und späteren Präsidenten François Mitterrand hingerichtet.
Iveton bedient sich eines temporeichen Stils, der die Dramatik der Ereignisse plastisch macht. Die gebrochene, gehetzte innere Rede des Häftlings macht dessen Todesängste und Hoffnungen anschaulich, prägnante Ortsbeschreibungen verleihen den Szenen eine eindringliche Präsenz: „Am Boden seine Haare wie eine überfahrene Taube.“
Fernands Liebe zu seiner Frau Hélène offenbart die intime Seite des Protagonisten. Die gebürtige Polin war mit ihrem späteren Gatten von Frankreich nach Algerien gezogen, sie zittert mit ihm im Gerichtssaal, versucht, das Bild eines Bösewichts zu korrigieren, das die Medien von Iveton zeichneten.

Das Bemühen, die moralische Bewertung umzukehren und aus einem Terroristen einen Freiheitskämpfer zu machen, erinnert zwar an die Didaktik des sozialistischen Realismus. Andras gelingt es gleichwohl, in einer spannenden Story ein verdrängtes Ereignis aus dem Nebel des Vergessens zu holen.
Der politische Islam nimmt für sich in Anspruch, die Verbrechen des Kolonialismus zu rächen, als sei die Geschichte Algeriens eine Geschichte der unterdrückten Religion. Dieser Sichtweise stellt Andras das Bild eines multiplen Widerstands entgegen, dem Juden und Kommunisten ebenso angehörten wie französische und polnische Arbeiter und Arbeiterinnen. Und die Liebesgeschichte zwischen Fernand und Hélène gerät zum Sinnbild einer Gesellschaft, die über die Gräben der Herkunft hinweg zusammenwächst.

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