

Die Wunden, die die Geschichte schlägt
Alfred Pfoser in FALTER 42/2023 vom 20.10.2023 (S. 14)
Maruša Kreses Buch „Trotz alledem“ rührt durch das Pathos der Unmittelbarkeit, Nähe und persönlichen Betroffenheit. Anhaltender Schmerz und fortwährende Trauer, getrieben von vielen Fragen: Wie war das wirklich? Wie konnten die Eltern den Widerstand im Zweiten Weltkrieg durchstehen? Wie passt das mit dem zusammen, was in den Jahren danach geschah?
Es ist eine Art fiktives Journal, in dem die Autorin anhand ihrer eigenen Familiengeschichte in vier ausgewählten Stationen das jugoslawische Drama entwickelt: 1941, 1952, 1969, 2012; wobei der erste Teil mehr als die Hälfte des Buches ausmacht. Dessen Erscheinen hat die Autorin gerade noch erlebt: Sie starb im Jänner 2013 im Alter von 65 Jahren.
Kreses Roman kompiliert Nahaufnahmen aus wechselnden Perspektiven, die geleitet sind von Einfühlung und Verzicht auf Heroismus. Beide Elternteile spielten eine herausragende Rolle unter Titos Partisanen, hatten sich dort kennen und lieben gelernt. Wie konnten sie die grässlichen Entbehrungen und Brutalitäten ertragen? Die tagtägliche Konfrontation mit dem Tod, das Bangen um Eltern, Geschwister und Freunde, all die Toten und Verletzten?
In heißen Sommern und bitterkalten Wintern werden die Gruppen von der deutschen Wehrmacht, den Italienern oder den heimischen Heimwehrgruppen gehetzt. Und dennoch kann dieser Wille zum Überleben und zum Sieg, zur Befreiung ganz Jugoslawiens unter der Führung Titos nicht gebrochen werden. Krese gelingen literarisch starke, mitreißende Partien.
Aus den Verfolgten werden Sieger, sie werden gefeiert, es gibt viel Zuspruch bei den Wahlen, die Versprechungen des Neubeginns nähren die Hoffnung. Aber zugleich leidet das Land unter zahlreichen Belastungen: unter den Kommissionen und Prozessen, die über sogenannte Volks- und Klassenfeinde urteilen, oder unter dem Konflikt um Triest.
Der Bruch zwischen Tito und Stalin tut ein Übriges, um Misstrauen zu säen und Ahnungslose ins Gefängnis zu bringen. Leute verschwinden. Wie kann angesichts des ganzen Hasses Versöhnung gelingen? Die Geheimpolizei observiert die eigenen Reihen. Aus dem kargen Leben ist Luxus geworden, die Tochter redet jetzt im Roman mit. Vater und Mutter haben Auftritte bei offiziellen Feiern, um die Heldenzeit zu beschwören. Sie hassen es, bekleiden aber hohe Funktionen. Der Kitt, der Jugoslawien zusammenhält, beginnt zu zerbröseln. „Trotz alledem“ ist ein wuchtiges Manifest, das zeigt, dass die Wunden der Geschichte schwer heilen.