

Ekelpakete mit Zimthaut und Kronleuchterglatze
Sigrid Löffler in FALTER 12/2025 vom 21.03.2025 (S. 8)
Es ist mehr als zehn Jahre her, dass der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie, Jahrgang 1977, mit ihrem Weltbestseller „Americanah“ der Durchbruch gelang. In einer unterhaltsamen Mischung aus bissiger Sozialsatire und Thesenroman untersuchte sie alle gängigen Aspekte des Schwarzseins in Amerika, indem sie den kolonialen Blick einfach umkehrte. Sie verspottete vor allem die verkorksten Heucheleien liberaler Amerikaner im Umgang mit Persons of Color und machte die Weißen zu befremdlichen Exoten.
In den Jahren seither befasste sich Adichie mit mancherlei – nur nicht mit dem Romanschreiben. Sie bekam drei Kinder, führte personalgestützte Haushalte in den USA und einer Gated Community im nigerianischen Lagos, posierte in Designer-Couture und mit extravaganten Frisuren für Hochglanzmagazine und widmete sich als meinungsstarke Staraktivistin mit divenhaften Allüren ihrer internationalen Medienpräsenz.
Adichie hielt Vorträge allüberall, mischte sich mit kontroversen Ansichten, etwa über Transfrauen, in aktuelle Debatten ein und tummelte sich auf Podien mit Michelle Obama oder Angela Merkel. Mit einem Manifest („Wie unsere Töchter selbstbestimmte Frauen werden“) und einem Essay („We Should All Be Feminists“) brachte sie es zur Ikone des Pop-Feminismus: Der Satz wurde von Beyoncé gesampelt und von Dior auf T-Shirts gedruckt. Zugleich als Fashionista und Feministin aufzutreten, ist offenbar kein Widerspruch.
Jetzt aber hat sich Adichie wieder an einen Roman gewagt, der zeitgleich im Original und in Dutzenden Übersetzungen weltweit erscheint. „Dream Count“ erzählt temperamentvoll die miteinander verwobenen Karrieregeschichten der vier Schwarzen Protagonistinnen, drei christlichen Igbo-Frauen aus Nigeria und einer muslimischen Dorffrau aus Guinea, allesamt Singles und ungefähr im Alter der Autorin. Der Erzählton ist ganz auf Tempo und forcierte Unterhaltsamkeit getrimmt, wie es der „International Style“, die global anschlussfähige Mainstream-Literatur, heute vorgibt.
Die Frauen im Roman sind einander durch ihr feministisches Selbstverständnis sowie durch Verwandtschaft, Freundschaft oder ein Dienstverhältnis verbunden. Wobei die drei Nigerianerinnen als Angehörige der wohlhabenden Bildungselite ihres Landes von Haus aus privilegiert sind, gewöhnt an den Service von Hauspersonal, Köchen und Fahrern. Sie gehen anspruchsvollen Berufen nach und pendeln nach Belieben zwischen ihrem Herkunftsland und den USA.
Chiamaka ist Reiseschriftstellerin und schreibt aus ihrem Haus in Maryland flotte Plaudertexte über schicke Destinationen auf der ganzen Welt. Der Roman wird nicht müde, auf ihre außergewöhnliche Schönheit hinzuweisen, und nachdem sie darüber hinaus noch viele biografische Eckdaten mit der Autorin teilt, wird sie unschwer als deren (selbstironisches?) Alter Ego erkennbar.
Chiamakas beste Freundin Zikora lebt als Anwältin in Washington, und ihre Cousine Omelogor ist Bankerin in Nigeria und wird durch krumme Geldgeschäfte steinreich, ehe sie den Job angeekelt hinwirft und ein Master-Studium an einer US-Universität beginnt. Auch Kadiatou, die arme Frau aus Guinea, hat den Sprung nach Amerika geschafft. Sie arbeitet als Chiamakas Haushälterin und als Zimmermädchen in einem Hotel. Alle drei Igbo-Damen nehmen sie in schwesterlicher Solidarität unter ihre Fittiche. Das Herablassende daran fällt dem Roman nicht auf.
Der luxuriöse Lebensstil des Trios wird allenfalls durch die lästigen Beschränkungen während des Corona-Lockdowns etwas beeinträchtigt und weiters nicht infrage gestellt, sondern ohne jede kritische Distanz beschrieben. Nur im Falle der Erfahrungen Omelogors blitzt Adichies berühmter Sarkasmus auf. Die schamlose Selbstbereicherung ihrer korrupten Bankerkollegen in Nigeria und der woke linke Dogmatismus ihrer amerikanischen Uni-Kommilitonen bieten Stoff für wohlfeile Sozialsatire.
Erst wenn man den Blick auf die Männer in diesem Roman richtet, erkennt man, worum es der Autorin hier eigentlich geht. „Dream Count“ liest sich wie eine vernichtende Generalabrechnung mit der Spezies Mann als solcher. Adichie präsentiert eine Musterkollektion fiesen, feigen und ruchlosen männlichen Verhaltens. Alle vier Protagonistinnen machen ausnahmslos schlechte Erfahrungen mit Männern: Sie werden von diesen belogen, betrogen, hintergangen, seelisch und körperlich misshandelt; im Fall von Zikora geschwängert, wortlos verabschiedet und schnöde im Stich gelassen; im Fall von Kadiatou von einem Hotelgast brutal vergewaltigt. Dass Adichie hier den realen Me-Too-Skandal um den notorischen Vergewaltiger Dominique Strauss-Kahn bis ins kleinste Detail in den Roman hineinmontiert, wirkt unnötig spekulativ.
Einerseits. Andererseits führt die Hauptheldin Chiamaka den titelgebenden „Dream Count“. Sie listet darin pedantisch alle Begegnungen mit Männern in ihrem Leben auf, die realen und die erträumten, fantasierten, ersehnten. Die wirklichen Affären enden allesamt enttäuschend. Den Frust darüber bekämpft Chiamaka, indem sie jede noch so zufällige Männerbegegnung, jeden begehrlichen Blickwechsel mit Unbekannten auf der Straße, im Flugzeug oder sonst wo penibel protokolliert. Der eine hat „Zimthaut“, der andere „die Ausstrahlung eines Löwen – seine Glatze glänzte im Kronleuchterlicht des Ballsaals“. Das genügt, um über ein alternatives Leben an seiner Seite zu fantasieren. Es liest sich wie die erotischen Tagebuch-Wunschträume pubertierender Schulmädchen.
Wenn Pop-Feminismus so ausschaut, dann ist er das Gegenteil von weiblicher Selbstbestimmung.