

Vermächtnis eines russischen Patrioten
Tessa Szyszkowitz in FALTER 44/2024 vom 01.11.2024 (S. 20)
Diese Memoiren sollten an sich erst in vielen Jahren erscheinen. Geschrieben von einem ehemaligen Präsidenten der Russischen Föderation, der nach dem Sturz Wladimir Putins in freien Wahlen zum Staatsoberhaupt gewählt wurde, um Russland zurück auf den Pfad der Demokratie zu führen. Alexej Nawalny, der tollkühne russische Oppositionspolitiker hatte sich lange Jahre gegen die Kleptokratie im Kreml stark gemacht, war dafür verfolgt, vergiftet, eingesperrt worden. Hatte sich aber nie unterkriegen lassen.
Leider kam es anders. Alexej Nawalnys Autobiografie erscheint posthum. Weltweit gleichzeitig. "Patriot. Meine Geschichte" wird von seiner Witwe Julia Nawalnaja präsentiert. Sie hat klargestellt, dass sie auch sein politisches Erbe übernehmen und Putin als Präsidentin Russlands ablösen möchte.
Schmunzeln mit Gänsehaut Denn ihr Mann kann Putin nicht mehr herausfordern. Er hat den Kampf verloren. Alexej Nawalny starb in einem russischen Straflager bei Charp jenseits des Polarkreises am 16. Februar 2024. Eines natürlichen Todes, hatte die Gefängnisleitung bekannt gegeben. Im September allerdings veröffentlichte das Magazin The Insider Dokumente, die nahelegen, dass er vergiftet worden war.
Im Buch selbst beschreibt Nawalny im letzten Teil ausführlich seinen Alltag im russischen Straflager -bis knapp vor seinem Tod. Das Gefängnistagebuch ist beklemmend. Auch deshalb, weil es fast beschämt, wie witzig Putins Feind Nummer eins auch angesichts seiner furchtbaren Lage bis zum Schluss blieb. Man schmunzelt mit Gänsehaut über den beißenden Humor, mit dem er die Verhältnisse in den verschiedenen Gefängnissen beschreibt. Die Häftlingsquälerei in ihrer menschenverachtenden Brutalität und gleichzeitig spießigen Bürokratie ähnelt auf schreckliche Weise jener im stalinistischen Gulag.
Das Gefängnistagebuch begann Nawalny knapp nach seiner Verhaftung im Winter 2021. "Es wäre ja jammerschade, mir ein magisches Datum wie den 21.01.2021 durch die Lappen gehen zu lassen", schreibt Nawalny. Er verbringt mit "Genosse Psychologe" Zeit, muss jeden Abend einen "Patriotischen Vortrag" von zwei Stunden über sich ergehen lassen: "Völliger Müll", wie Nawalny schreibt. Als er einen Hungerstreik beginnt, schmuggeln die Wärter Bonbons in seine Taschen, um seine Moral zu untergraben, finden sie dann für ihn dort auch gleich und kichern: "Oh je, Alexej Anatoljewitsch, was macht denn dieses Bonbon hier?"
"Patriot" ist aber auch eine Nachlese zu Nawalnys Leben und Arbeit als Jurist, Antikorruptions-Aktivist und Politiker. Sein Vater stammte aus der Ukraine, Nawalny selbst wuchs 100 Kilometer von Moskau in Obninsk auf. Als Zehnjähriger erlebte er 1986, wie die sowjetischen Behörden einfach nicht zugeben wollten, dass ein Nuklearreaktor im 700 Kilometer entfernten Tschernobyl explodiert war. Trotz der Verseuchung wurden Nawalnys ukrainische Verwandte auf die Felder geschickt, um Kartoffeln zu pflanzen.
Kampf gegen Korruption An diesen verantwortungslosen Umgang mit der eigenen Bevölkerung und die impertinente Vertuschung der Wahrheit musste Nawalny denken, als Putin im Jahr 2000 zum Präsidenten gewählt wurde: "Er hört nicht auf zu lügen, genau wie es in meiner Kindheit war."
Als junger Mann war für ihn klar, wer für den Zusammenbruch der Sowjetunion verantwortlich war: "Die senile Führung der KPdSU trieb das Land mit ihren Lügen, ihrer Scheinheiligkeit und ihrer Inkompetenz in eine Wirtschaftskrise", während der KGB "einen stümperhaften Putsch" inszenierte.
Aus seinem Kampf gegen Korruption entstand 2011 die Stiftung für Korruptionsbekämpfung FBK, eine aus Spenden finanzierte NGO. Später konstruiert Putins Justiz einen Prozess nach dem anderen gegen den Oppositionellen, in denen es heißt, Alexej Nawalny habe alle diese Spenden gestohlen.
Opposition aus dem Exil? Njet Bei den Protesten gegen Putins Regime im Winter 2011 stieg Nawalny zur zentralen Figur der Oppositionsbewegung auf. Viele Details seiner Leidensgeschichte sind bekannt: die Versuche, für ein politisches Amt zu kandidieren -was ihm verwehrt wurde; die Demonstrationen, bei denen er verhaftet wurde; die vielen Reisen durch Russland, bei denen er ein Netzwerk an Aktivisten aufbaute. Je unerbittlicher sein ziviler Widerstand wurde, umso stärker verfolgte ihn das zunehmend totalitäre Regime.
Bis es ihn 2021 umbringen wollte. "Ich hätte meinen Tee eleganter trinken sollen, denn drei Tische entfernt sitzt ein Typ, der heimlich ein Video aufnimmt", witzelt Nawalny und erzählt, wie er am Flughafen mit Tee vergiftet wird, im Flugzeug zusammenbricht und schließlich das Bewusstsein verliert. Ohne seine Frau und sein Team, die darauf bestanden, ihn zur Behandlung nach Deutschland in Sicherheit zu bringen, wäre er schon damals gestorben.
Seine Rückkehr nach Moskau aus dem Exil nur ein halbes Jahr später erscheint wie pure Verrücktheit. Aber seine Frau Julia erklärte in Interviews im Nachhinein, sie habe ihn nicht davon abhalten wollen. Es sei seine Mission gewesen, sein Land nicht im Stich zu lassen.
Etwas verstörend, aber irgendwie passend sind dazu die Passagen, in denen seine Hinwendung zur Religion deutlich wird. Vielleicht trug Nawalny immer schon etwas Missionarisches in sich - wenn man sich nicht für ein Art Jesus hält, der zum Leiden für die Welt oder eben Russland berufen ist, dann stellt man sich dem Kampf gegen ein derart repressives Regime wie jenes von Wladimir Putin vielleicht gar nicht.
So endet seine Autobiografie - wie auch das Leben Alexej Nawalnys - mit dem Satz, mit dem das Buch auch begonnen hat: "Sterben tat wirklich nicht weh."