Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet
Ob Impfdebatte, Corona- oder Klimakrise – viele politische Streitfragen werden heute als Wissenskonflikte verhandelt. Man beschäftigt sich immer weniger mit normativen Aspekten und individuellen Handlungsoptionen, sondern streitet um die überlegenen Erkenntnisse: Wer am genauesten mit den Ergebnissen der Wissenschaft übereinstimmt, so die implizite Annahme, der verfügt damit auch über Lösungen, die dann alternativlos sind.
Alexander Bogner untersucht diese Fixierung auf Wissensfragen und ihre Folgen. Dabei wird deutlich, dass diese »Epistemisierung des Politischen« gefährlicher für unsere Demokratie ist als das leicht durchschaubare Spiel mit Fake News und Twitter-Lügen. Die Hochkonjunktur von Verschwörungsideologien und alternativen Fakten, über die alles gesagt zu sein scheint, erscheint unter diesen Vorzeichen in völlig neuem Licht.
Wahrheitspolitik und Proteste
Die coronakritische Partei MFG schafft es auf Anhieb in den oberösterreichischen Landtag. Alexander Bogner teilt die Anliegen dieser neuen Protestbewegung nicht, sehr wohl versucht er aber, ihre Gründe zu verstehen. In seinem schmalen, klugen, dicht argumentierten Buch zeigt er, was dieser wütende Aufstand mit der Epistemisierung politischer Streitfragen zu tun hat. „Die unerschütterliche Konzentration auf das Wissen rückt aus dem Blick, was politische Probleme eigentlich ausmacht und gesellschaftliche Konflikte anheizt: divergierende Werte, Interessen und Weltbilder.“ Dass Politik sich auf wissenschaftliche „Wahrheiten“ beruft, statt den Ausgleich von Interessen anzustreben, bahnte sich ebenso bei der Klimakrise an. Auch hier geht es um einen erbitterten Streit um Datengrundlagen, auch hier gibt es bereits extreme Positionen, die die Welt vor der „Dummheit der Leute“ retten und damit die Demokratie abschaffen oder zumindest die Teilnahme an ihr beschränken wollen. Aber Politik kann nie „alternativlos“ sein, beharrt Bogner, und eine Demokratie beruht nicht auf absoluten Wahrheitsansprüchen, sondern auf Wandel und Gestaltungsmacht.
Kirstin Breitenfellner in Falter 42/2021 vom 22.10.2021 (S. 24)
Reihe | Reclams Universal-Bibliothek |
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ISBN | 9783150140833 |
Erscheinungsdatum | 12.02.2021 |
Umfang | 132 Seiten |
Genre | Sachbücher/Philosophie, Religion/Philosophie/Antike bis Gegenwart |
Format | Taschenbuch |
Verlag | Reclam, Philipp |