Die Unruhe der Bücher. Vom Lesen und was es mit uns macht
Lesen gilt heute fast schon als retro: Wenn es um dessen Vorzüge geht, wird gern von »Kontemplation« und »Entschleunigung« gesprochen. Bücher sollen Rückzugsort und »Wellness-Oase für die Seele« sein.
All das greift entschieden zu kurz: Als Lesende nehmen wir an der Unruhe der Welt teil und schärfen unser Bewusstsein für Mehrdeutigkeiten aller Art. Und selbst die mächtigsten Zeichen lernen wir als das zu nehmen, was sie sind: Setzungen, die nicht alternativlos sind. Ein kluger wie leidenschaftlicher Essay für alle Buchmenschen, die das eigene Lesen und Tun bedenken.
Eine Liebeserklärung an die Großartigkeit des Lesens.
Die Buchbranche steckt in der Krise. Die Antwort: Man versucht, Bücher als Gegenpol zur Hektik des modernen Lebens zu etablieren. Slogans wie „Statt Pralinen – #jetzteinBuch“ sind Ausdruck der Verzweiflung. Wohlfühlrhetorik, die Lektüre als eskapistische Mentalbetätigungen für den geplagten Zeitgenossen betrachtet, wird allerdings dem nicht gerecht, was Bücher sein sollten: „ein Herd der Unruhe und Kontingenz“, wie der Lektor Sascha Michel schreibt.
Wenn es in Texten Widerhaken gibt, wird es laut Michel erst interessant und produktiv. Wo die Zeichen nicht auf dem sicheren Boden des Üblichen stehen, fangen sie an zu tanzen. Und setzen auch uns in Bewegung. Das führt dazu, die Unruhe der Welt besser zu ertragen und genauer zu hinterfragen. Lesen hat dank der Corona-Krise Konjunktur. Vielleicht hilft das dabei, unsere Zeit zu verstehen. Dass die Krise dem Buchmarkt nützen wird, ist allerdings fraglich.
Ulrich Rüdenauer in Falter 20/2020 vom 15.05.2020 (S. 34)
Reihe | Reclams Universal-Bibliothek |
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ISBN | 9783150196694 |
Erscheinungsdatum | 11.03.2020 |
Umfang | 95 Seiten |
Genre | Sachbücher/Kunst, Literatur/Literatur |
Format | Taschenbuch |
Verlag | Reclam, Philipp |