Weltuntergänge. Vom Sinn der Endzeit-Erzählungen
Das Ende ist nahe – schon immer. Ingo Reuter untersucht, warum Erzählungen vom Untergang seit jeher Konjunktur haben und was sie bewirken können. Denn wer von Weltuntergängen spricht, der redet immer auch von Gerechtigkeit und denkt in die Zukunft. Wer kann sich am Ende retten? Was hat es mit dem Menschen auf sich, dass er verantwortlich für seinen eigenen Untergang sein kann? Und besteht Hoffnung auf Rettung?
Reuter zeigt an Weltuntergangserzählungen von biblischer Zeit bis heute, aber auch an Filmen und Videospielen, warum die Menschheit nicht ohne imaginierte Untergänge auskommt.
In der Kunst war immer schon Weltuntergang
Apokalyptisch gestimmte Filme haben in krisenhaften Zeiten Konjunktur. Bei den Streamingdiensten stehen Pandemie-Schocker wie „Contagion“ oder „Outcast“ gerade ganz oben auf der Beliebtheitsskala. Weltuntergang aber war immer schon, und die Kunst – ob Literatur, Malerei oder Kino – hat sich stets mit dem drohenden Ende auseinandergesetzt.
Das Unbehagen an der jeweiligen Gegenwart kommt darin zum Ausdruck, und es werden die wesentlichen Fragen nach Gerechtigkeit und Schuld gestellt. Zudem ist meist auch ein gewisses Maß an Trost enthalten: Bezeichnenderweise wirft sich in den einschlägigen Blockbustern oft ein Held stellvertretend für die Menschheit ins Getümmel, um gegen alle Widerstände das Ruder herumzureißen. Apokalypse ist immer auch Offenbarung.
In seinem schmalen Essayband „Weltuntergänge“ versucht der Kultur- und Religionswissenschaftler Ingo Reuter, dem Sinn von Endzeiterzählungen auf die Spur zu kommen. Es ist das Büchlein zur Stunde. Denn plötzlich befindet sich die gesamte Spezies in einer Katastropheninszenierung, deren Drehbuch noch nicht zu Ende geschrieben ist. „Die Geschichten, die vom Weltuntergang erzählt werden, verdichten und berichten im Zeitraffer über diesen Zerstörungsprozess und über mögliche Rettung in der Katastrophe“, schreibt Reuter.
Die Fragen lauten stets: Wie kam es so weit, wie geht es weiter – und wie verhalten wir uns zu all dem? Reuter folgt dem Genre, in dem sich immer zeitgenössische Ängste spiegeln, durch die Geschichte. „Alles spitzt sich auf die Frage zu: Was ist der Mensch angesichts einer Situation existenzieller Bedrohung und sozialer Entgrenzung?“
Auch wenn wir um das Ende unseres Lebens und (über kurz oder lang) des Planeten wissen, wollen wir die verbleibende Zeit sinnvoll gestalten. Davon sprechen die Weltuntergangsfantasien, von „Sensibilisierung“ und „Selbstaufklärung“ also. Ob sie allerdings helfen, künftige katastrophale Entwicklungen abzuwenden, wie der Autor am Ende seines Essays utopisch hofft, bleibt doch zu bezweifeln.
Ulrich Rüdenauer in Falter 20/2020 vom 15.05.2020 (S. 34)
Reihe | Reclams Universal-Bibliothek |
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ISBN | 9783150196786 |
Erscheinungsdatum | 15.05.2020 |
Umfang | 93 Seiten |
Genre | Sachbücher/Philosophie, Religion/Philosophie/Antike bis Gegenwart |
Format | Taschenbuch |
Verlag | Reclam, Philipp |