

Lonesome Georges, überall
Gerlinde Pölsler in FALTER 42/2022 vom 21.10.2022 (S. 35)
George war ein Endling: der Letzte seiner Art. Jahrelang hatten Wissenschafter versucht, einen Paarungspartner für die hawaiianische Schnecke zu finden, um die Art doch noch zu retten – vergeblich. „Während die Welt ins neue Jahr hineinfeierte und die Korken knallen ließ, starb er am Neujahrstag 2019 im Alter von 14 Jahren allein in seinem Terrarium“, erzählt Jasmin Schreiber. Die Schnecke war nach Lonesome George benannt gewesen, der letzten Schildkröte der Pinta-Insel. Endling, das ist „ein Wort von sanfter Schönheit, von herzzerreißender Einsamkeit und eiskalter Endgültigkeit“, zitiert die Autorin aus Ed Yongs Artikel „The Last of Its Kind“.
Die „100 Seiten“-Serie aus dem Reclam-Verlag will aktuelle Themen behandeln, unterhaltsam und persönlich geschrieben sein. Die Deutsche Jasmin Schreiber ist prädestiniert dafür, den Band über Biodiversität zu bestreiten, ist die 34-Jährige doch für sich schon ein diverses System: Die Biologin, Wissenschaftsjournalistin und Autorin hochgelobter Romane („Marianengraben“) streift gern im Wald herum und lässt sich gerade zur Rangerin ausbilden.
Erst mal erklärt sie, was Biodiversität eigentlich ist. Die meisten von uns denken dabei an Artenvielfalt – und aus! Die ist natürlich wichtig, aber nur ein Aspekt. Bei Biodiversität geht es nämlich auch um die genetische Vielfalt innerhalb von Arten und um die Diversität von Ökosystemen.
Warum das wichtig ist: Einer von Schreibers Hunden hat zum Beispiel Klapp-, der andere Stehöhrchen. In Bezug auf die Ohrform repräsentieren sie also zwei „Sorten“. Zwar wirke die Ohrform nicht gerade wie das große Power-Kriterium, aber: „Je mehr Varianten von Genen vorhanden sind, umso besser kann eine Art beispielsweise auf veränderte Umweltbedingungen reagieren, weil irgendein Exemplar vielleicht das passende Erbgut hat, um zu überleben.“
Die Ansprüche der Serie erfüllt Schreiber locker: Sie erklärt das Wichtigste, erzählt persönlich und formuliert einfach. „Ja, wir machen jetzt einen kleinen Genetikexkurs, aber keine Sorge, wird nicht schlimm.“ Happy-pappy klingt ihr Buch deswegen nicht. Bei einer Million vom Aussterben bedrohter Arten gehe es auch für uns Menschen ums Ganze: „Brechen unsere Ökosysteme zusammen, verlieren wir unsere Lebensgrundlagen und werden von all den wegen uns Menschen aussterbenden Organismen mit in den Abgrund gezogen.“ Sollte die Erde in diesem Jahrhundert die Drei-Grad-plus-Schwelle überschreiten – was gut möglich ist –, würden fast die Hälfte der Insektenarten, 44 Prozent der Pflanzen und gut ein Viertel der Wirbeltiere mindestens die Hälfte ihres Verbreitungsraums verlieren. Am Ende gibt Schreiber Tipps, was jeder tun kann. Das hätte etwas breiter ausfallen können, das meiste ist bekannt: wilde Ecken im Garten lassen, Insektenhotel aufstellen, niemals Schneckenkorn verwenden.
Die Schnecken, die das Sterben besonders stark trifft, betrauert Schreiber besonders. Auch weil ihr Aussterben den meisten Leuten egal ist. Nicht so Schreiber. „Wenn das hier Forscherinnen oder Forscher lesen und ich mir was wünschen darf: Gerne eine Schnecke nach mir benennen! Mehr könnte ich mir als Lebenshighlight nicht wünschen.“