WIENER WILDNIS

256 Seiten, Buch
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ISBN 9783200053526
Erscheinungsdatum 30.01.2024
Genre Sachbücher/Natur, Technik/Natur, Gesellschaft
Verlag Popp-Hackner Photography
Sammlung Abenteuer in und um Wien Natürlich Wien
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Kurzbeschreibung des Verlags

Verena Popp-Hackner & Georg Popp haben in mehr als fünf Jahren Arbeit zum Projekt WIENER WILDNIS die unglaubliche und überraschende Artenvielfalt und Tierwelt Wiens eingefangen. Füchse, Dachse, Rehe, Biber, Turmfalken oder Feldhamster – sie alle leben meist völlig unbemerkt mitten unter uns. Die beiden renommierten Fotografen wurden schon vielfach international für ihre Fotografie ausgezeichnet und beweisen, dass es auch in der Großstadt möglich ist, wilde Tiere vor die Linse zu bekommen.

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FALTER-Rezension

Fuchs, du hast die Stadt erobert

Katharina Kropshofer in FALTER 48/2024 vom 27.11.2024 (S. 50)

Kein Wunder, dass er sich wohlfühlt. Hier das Gestrüpp aus Büschen und Gräsern, die dem Menschen unwichtig erscheinen; dort ein kleiner Streifen, der die eine Grünfläche mit der anderen verbindet. Und immer wieder Winkel, in denen er sich menschlichen Blicken entziehen kann.
Hier im dritten Bezirk, irgendwo zwischen dem Botanischen Garten der Universität Wien, einer Dienststelle des Europäischen Patentamts und dem Gymnasium Sacre Coeur, wohnt ein Fuchs. Oder besser gesagt: mindestens einer.

Wo genau er seinen Bau hat oder ob es immer derselbe Fuchs ist, der hier seine Runden zieht, weiß niemand so genau. Doch wer Glück hat, erspäht das rote Tier in den frühen Morgenstunden, wenn es sich auf die Jagd macht. Wer ihn schon das ganze Jahr über beobachtet, hat wohl auch seine Welpen kennengelernt. Aber für manche ist der kleine Fuchs aus Wien-Landstraße zum großen Problem geworden, zur Plage.

Füchse in Wien sind an sich nichts Besonderes. Die Hälfte der Stadt ist Grünraum, gespickt mit reichlich Futter und Rückzugsorten. 4000 bis 5000 Tiere könnten durch die Stadt ziehen. Wie viele es wirklich gibt, kann niemand seriöserweise sagen. Weitreichende Erhebungen fehlen, und weil alle Füchse fast gleich aussehen, kann man sie auch nicht zählen.

Nur eines ist sicher: Es gibt sie in jedem Bezirk -von den Weiten des Lainzer Tiergartens über den Tourismus-Hotspot des Schönbrunner Schlossgartens bis hin zum blauen Band der Stadt, dem Donaukanal. Selbst im ersten Bezirk sichten ihn aufmerksame Stadtmenschen, wenn er nächtens wieder einmal durch die Stadt schnürt.

Kein Wunder, der Fuchs ist ein Opportunist. Er frisst alles, was er findet, von kleinen Nagern über Apfelbutzen und Kompost bis hin zu Regenwürmern. Aber das Gewürm nur, wenn er muss. 600 Kilokalorien braucht ein erwachsener Fuchs am Tag. Das macht rund 20 Mäuse. So anpassungsfähig ist der Fuchs, dass er die Größe seines Wurfs an das verfügbare Fressen anpasst. "Füchse schätzen in der Stadt das, was wir Menschen in der Stadt schätzen", sagt Theresa Walter.

Mehrere Jahre lang erforschte sie die Wiener Füchse im Rahmen des Projekts "Stadtwildtiere", Bürgerinnen und Bürger tragen dort Wildtier-und somit auch Fuchssichtungen in eine Onlineplattform ein. Seit kurzem arbeitet die Wildtierökologin im Umweltbundesamt, wo sie sich um die Vernetzung von Lebensräumen bemüht.

Stadtfüchse sind neugierig und hochintelligent, lernen, wann Straßen stark befahren sind, und weichen ihnen aus. Sie schätzen Grünflächen, aber nützen auch einmal ein Baugerüst für ihren Mittagsschlaf. "Einzelne probieren gerne etwas aus -so wie manche Menschen auf den Mond fliegen", sagt Walter.

Jedes Kind kennt und erkennt den Rotfuchs mit seinen bernsteinfarbenen Augen, seinem rotbraunen, dichten Fell und der unverkennbaren buschigen Rute. Und so ist es kein Wunder, dass das flauschige Tier aus der Familie der Hunde zum Liebkind geworden ist, zu einem Stück Wildnis in der Stadt. Doch kommt er dem Menschen zu nahe, verspeist er geliebte Eichhörnchen, Hühner oder Flamingos (wie vor einem Jahr im Tiergarten Schönbrunn 13 bei einem einzigen Raubzug), gilt er plötzlich nicht mehr als romantisches Sehnsuchtsobjekt, sondern als ärgerlicher Eindringling.

Die Geschichte des kleinen, zahmen Fuchses im dritten Wiener Gemeindebezirk erzählt deswegen auch über wilde Tiere und ihren Platz in der Stadt -und darüber, wie wir Menschen mit ihnen umgehen.

"Wir wissen nicht, was er alles bei uns macht", sagt David Bröderbauer, "aber unser Garten ist ein Ort, wo sich Füchse und Menschen begegnen -und wo sie nicht erwartet werden." Bröderbauer ist Botaniker und Sprecher des Botanischen Gartens. Seit 1745 gibt es diese Institution. Wiens Bevölkerung hat sich seither verachtfacht, Prinz Eugen residiert nicht mehr im angrenzenden Schloss Belvedere, Frauen dürfen mittlerweile an der Universität Wien studieren, und der dazugehörige Botanische Garten hat seine Philosophie an die Zeichen der Zeit angepasst. "Das ist einer der lebendigsten Bäume im Garten", sagt Bröderbauer und deutet auf eine riesige tote Buche, in der Käfer, Spechte und Wildbienen ein Zuhause finden. Die Gärtner pflanzen Bäume und Kräuter nicht mehr nur in Reih und Glied, lassen Brachflächen frei und tote Baumstämme teils stehen. Dass sich Wildtiere hier wohlfühlen, ist deshalb kein Wunder -und ein Lob für die Gärtner.

Der Fuchs ist Opportunist, Generalist, Mäusejäger, Regenwurmverschlinger, frisst aber auch Früchte, wenn er sie findet. Er fühlt sich fast überall wohl, wandert bis zu 12 Kilometer in einer Nacht. Wie viele Füchse es in Wien gibt, weiß niemand genau. Es gibt sie aber in jedem Bezirk. In den Außenbezirken wird er auch gejagt -viele sehen das als unnötig, kann er doch die Größe seines Wurfs an die Gegebenheiten anpassen. Und die Populationsgröße so quasi selbst regulieren

Doch als im Frühjahr 2024 plötzlich nicht mehr nur ein Fuchs durch den gepflegten Garten streifte, sondern er plötzlich drei Junge im Schlepptau hatte, wurde er vielen unheimlich: Eltern beschwerten sich bei der Gartenleitung, weil die zutraulichen Jungtiere ihrem eigenen Nachwuchs zu nahe kamen; andere wiederum sorgten sich um die Garten-Eichhörnchen, die den Füchsen "ausgeliefert" waren. Sie wollten den Fuchs verjagen oder fangen lassen. Wieder andere empfanden den Fuchs selbst als zu abgemagert, versuchten ihn zu füttern und gewöhnten ihn so erst recht an den Menschen. Der Botanische Garten stellte Schilder auf, die das Füttern von Wildtieren untersagten -Fuchs und Eichhörnchen inklusive.

Doch die Geschichte endet hier nicht. Die besorgten Bürger riefen das Wildtierservice der Stadt Wien, drohten mit Klagen, weil sie die Eichhörnchen nun unterversorgt sahen -obwohl die Böden unter den Eichen auch jetzt im Winter mit den Baumfrüchten gepflastert sind. Und eigens in Auftrag gegebene wissenschaftliche Erhebungen zeigen, dass es reichlich Nahrung für die Nager gibt.

Besuche würden sich nun schwierig gestalten, auch weil Füchse Krankheiten übertragen und Wiener sowie Eichhörnchen sich fürchten, sagt eine Anrainerin. "Die Wildtiere in der Stadt haben es nicht leicht. Und am Ende sind alle arm: Die Füchse finden nicht genug Futter, die Eichhörnchen auch nicht -und auf den sozialen Aspekt für Menschen wird vergessen", sagt sie. Sie meint damit jene Gruppe von Menschen, die ihre Freizeit um diese Tiere gebaut haben. Sich in der Verantwortung sehen, Tiere zu füttern. Egal ob diese Hilfe benötigen oder nicht.

Das ist das Spannungsfeld der Stadt: Wo, inmitten all des Betons, beginnt der Lebensraum von Wildtieren? Haben Menschen die Pflicht, sich um sie zu kümmern? Und wie geht man mit einem wilden Tier um, das den Menschen bedrohlich scheint?

"Alle Füchse in Wien einzufangen, das ist illusorisch - und es würde das Problem nicht lösen", sagt Günther Annerl, der Leiter des Wildtierservice Wien. Sofort wäre schon der nächste Fuchs da. Schon lange fühlt sich Vulpes vulpes in der Umgebung von Menschen wohl. Nicht so wie Hunde, die, über Generationen zahmer gemacht, zum steten Begleiter des Homo sapiens wurden.

Eher in seinem Schatten: Schon vor 15.000 Jahren malte der Mensch sich selbst mit Füchsen an seiner Seite an Höhlenwände. Später bejagte er sie aus Konkurrenz vehement (und tut es auch in Wien vereinzelt bis heute); aus Eitelkeit begann er ihr Fell um den Körper zu schlingen, als Mantel oder in Form eines flauschigen Kragens. Und in den 1930er-Jahren wurden Briten schließlich auf das Phänomen Stadtfuchs aufmerksam.

Heute haben Füchse das größte Verbreitungsgebiet aller wildlebenden Raubtiere, sind allgegenwärtig und doch kaum zu fassen. Zehnmal häufiger sollen sie in Städten als in vergleichbaren Waldflächen vorkommen, so eine Erhebung aus Bayern. Auch wenn von der Straße reichlich Gefahr ausgeht, viele Füchse nicht älter als fünf Jahre werden. Sie sind so verbreitet, dass auch ein Umkehrschluss zulässig wäre: Vielleicht sind ja wir in ihrem Lebensraum unterwegs und nicht umgekehrt. Auch der Stadtfuchs aus der Landstraße könnte nun ein kleineres Revier nutzen, immerhin wurden die nahegelegenen Aspanggründe kürzlich verbaut.

Für die Wildtierökologin Theresa Walter ist diese Nähe jedenfalls ein Gewinn. "Es ist total schön, dass wir über den Fuchs die Stadt als Lebensraum für Wildtiere wahrnehmen können", sagt sie. Immerhin kommen wir so eher in Kontakt mit ihm als im Wald, können sehen, wie er elegant vor unseren Augen eine Straße quert, wie er Haustieren so ähnlich scheint und dann doch so fern und wild wirkt. Denn die meisten Tiere sind ohnehin aus dem Stadtbild verschwunden. Neben Katzen und Hunden kreuzen gerade einmal Tauben oder Ratten den Weg der Urbanisten.

Eine Entfremdung von der Natur nennt das Judith Benz-Schwarzburg, Tierphilosophin am Messerli-Institut der Veterinärmedizinischen Universität Wien. "In der kommenden Generation kennt jedes Kind einen Pokémon beim Namen, aber keine Käfer oder Vögel mehr." Dass Wildtiere wie Füchse in der Stadt sichtbar werden, macht sie auf gewisse Weise also auch begehrter, umstrittener. Die Philosophie kennt diese Tiere als "liminal animals", weil sie wie Grenzgänger vom Natur-in den Kulturraum kommen.

"Wir finden das schön, andererseits bedrohen sie unser Eigentum, oder wir haben Angst vor ihnen", sagt Benz-Schwarzburg. Dafür sorgen sicher auch Altlasten: die Assoziation mit Tollwut zum Beispiel, auch wenn Österreich seit 2008 als tollwutfrei gilt.

Der Grat zwischen Faszination und Furcht ist deshalb oft nur eine Fuchsrute breit. "Viele nehmen den Botanischen Garten als 'domestizierten' Ort wahr", so Bröderbauer. Die Vehemenz, mit der sich die "Tierschützer" für Eichhörnchen und Co einsetzten, war deshalb auch für ihn neu. Doch die Herkunft dieser Emotionen ist nachvollziehbar: Die Mauer rundherum macht den Garten heimelig, die Tiere im Inneren werden zu Haustieren erkoren.

Fuchsbegegnungen wären ja an sich nichts Besonderes. Doch während es auf dem Land selbstverständlicher ist, wilde Tiere zu sehen, werden die Sichtungen in der Stadt zum Sightseeing-Event. Und jene, die diese Wildtiere dann auch noch auf engem Raum beobachten -anders als im ausufernden Wiener Prater etwa -, vermenschlichen sie. Das beginnt bei der Sorge um verhungernde Eichhörnchen und endet beim Wunsch, einen Fuchs zu streicheln oder ihn zu entfernen.

Es ist also kein Wunder, dass diese Grenzziehung zwischen dem, was wir an uns heranlassen wollen, und dem, was wir uns lieber vom Leibe halten, bei Stadtwildtieren schwieriger ist. "Es ist eine ethisch umstrittene Frage, welche Rechte der Mensch hat, ob er überhaupt in solche Prozesse eingreifen soll und wann das gerechtfertigt ist", sagt Benz-Schwarzburg.

Tragen wir die Verantwortung, den Fuchs zu schützen? Er kann ja nichts dafür, dass er sich einen Lebensraum mit uns teilen muss. Wann wird diese Fürsorge für Füchse oder Eichhörnchen zur romantischen Verklärung? Für die Tierphilosophin beginnt die Grenzüberschreitung dann, wenn Menschen glauben, Tiere seien nur da, um ihnen Freude zu bringen. Eine Überheblichkeit, Überschätzung des eigenen Wissens und der eigenen Rolle.

Und die ist vor allem in der Stadt noch undefiniert. Auch Tiere hätten "das Recht auf Autonomie und Privatsphäre", argumentiert die Tierethikerin. Und sich um ein Tier zu kümmern heißt nicht gleich, es zu füttern. Im Gegenteil: Das Wildtierservice der Stadt rät davon stark ab. Wer sich wirklich sorgt, beobachtet ein Tier und meldet, wenn es ihm wirklich schlecht geht.

Der kleine Stadtfuchs aus dem dritten Bezirk ist deshalb nicht nur eine Geschichte über die Konflikte, die Wildtiere in Menschennähe haben. Sondern auch eine Chance: Der Fuchs als charismatischer Grenzgänger, der in unsere Nähe, aber nicht zu nahe kommt -er könnte Aufmerksamkeit auf das große Thema der Biodiversität und Vielfalt lenken. Und so auch eine Verbesserung für andere Tiere bringen.

Auch Wildbienen und Fledermäuse in der Stadt brauchen alte Bäume, Versteckmöglichkeiten, vernetzte Grünräume. "Wir können uns auch fragen: Gibt es eine Möglichkeit, die Stadt für Wildtiere besser zu gestalten?", sagt die Wildtierökologin Theresa Walter. Stadtfüchse erzählen also auch eine Geschichte über uns selbst, sind ein Spiegel der Welt, in der wir heute leben. Voll von Sehnsucht nach Natur, die verlorengeht und die wir nur sehr schwer in Ruhe lassen können.

Den Fuchs aus Wien-Landstraße sehen die Gärtner des Botanischen Gartens nun nur noch ab und zu. Seine Jungen sind mittlerweile wohl weitergezogen. Wer weiß, vielleicht können sie nun an anderen Orten der Stadt über das Wilde erzählen, das uns geblieben ist.

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