

Wehrhafte Demokratie gegen Faschismen aller Art
Sieglinde Rosenberger in FALTER 41/2022 vom 12.10.2022 (S. 22)
Ein Buch zu Faschismus könnte angesichts des jüngsten Wahlerfolgs der neofaschistischen Partei Fratelli d'Italia aktueller nicht sein. 1922 wurde Benito Mussolini zum Ministerpräsidenten bestellt, 2022 wird wahrscheinlich Giorgia Meloni angelobt werden. Dennoch haben sich Medien und Politik bislang schwergetan, die Parteiführerin und ihre programmatischen Vorhaben als faschistisch bzw. neofaschistisch bloßzustellen. Denn Faschismus ist in der politischen Arena ein elastischer Begriff geblieben, je nachdem, ob es sich um Selbst-oder Fremdzuschreibung handelt. So will Meloni nun vermeiden, in die faschistische Genealogie eingeordnet zu werden; der russische Präsident hingegen rechtfertigt den Angriffskrieg in der Ukraine damit, eine faschistische Regierung zu vernichten.
Anton Pelinkas Buch bringt in die Beliebigkeiten, Entleerungen und Instrumentalisierungen von "Faschismus" analytische Schärfe. Im Interesse einer wehrhaften Demokratie verfasst, fragt Pelinka, ob und warum das sozialistische, stalinistische Russland der 1930er-Jahre nicht als faschistisch gilt, Japan als Teil der Achsenmächte aber schon? Qualifiziert der österreichische "Ständestaat" von 1933 bis 1938 sich als Faschismus oder war der damalige Regierungschef Engelbert Dollfuß "nur" ein Autoritärer?
Um es vorwegzunehmen: Es sind diese Gedanken über oft erzählte historische Verhältnisse, die wichtige Reflexionen über das Heute erlauben.
Was macht also eine Gewaltherrschaft faschistisch? Antworten werden mit einem historisierenden Zugang und dem Vergleich folgender politischer Regime gegeben: Deutschland 1933 1945, Italien 1922 1943, Österreich 1933 1938, Spanien 1939 1975 und Japan 1937 1945.
Das Buch ist aber dennoch nicht als strikter Fallvergleich angelegt, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die Fälle unvergleichbar sind. Es ist auch weit davon entfernt, nur Begriffsarbeit zu sein, wie der Titel vielleicht anklingen lässt. Pelinka hat vielmehr ein detailreiches, historisches Lesebuch vorgelegt, das interessante Ereignisse und Befunde aufgreift und diese unter dem Blickwinkel Faschismus verdichtet. Der Text arbeitet die sich ähnelnden Momente der Transformation ehemals demokratischer Staaten in autoritäre, diktatorische Regime heraus. Zu den Momenten zählen die Existenz einer Massenbewegung, die für eine antipluralistische, elitäre Herrschaft instrumentalisierbar ist. Das "Volk", als eins konzipiert, wird zusammengehalten durch nationalistische Opfernarrative, einen starken Gestus gegen die Moderne, revolutionäre Vorstellungen des Staates und durch alltägliche Repression und Terror. Der Politik von Dollfuß und Schuschnigg fehlte - im Vergleich zu Deutschland und Italien - ein Faschismuskriterium, nämlich der revolutionäre Anspruch, sie war vielmehr primär klerikal und reaktionär.
Angesichts der analysierten Fälle schlussfolgert Pelinka, dass die zentralen politischen Gegensätze des 20. Jahrhunderts nicht Faschismus und Sozialismus, nicht rechts und links wären, sondern Demokratie und Diktatur. So gedacht, könnte auf Faschismus als wissenschaftliches Konzept und Erkenntnisquelle verzichtet werden. Dennoch macht das systematische Wissen um Charakteristika der faschistischen Regime der Vergangenheit die Verharmlosungsmechanismen gegenwärtiger autoritärer Herrschaft besser erkenn-und kontextualisierbar und kann hoffentlich dadurch dazu beitragen, demokratisch rechtzeitig gegenzusteuern.