

200 Bücher, 200 Länder, ein Abenteuer
Juliane Fischer in FALTER 10/2024 vom 06.03.2024 (S. 29)
Lust bekommt man etwa auf "Das Lächeln der Erde": Dieses schmale Büchlein erzählt von einem jungen Beduinen aus Mali, geschrieben hat es Ramón Villeró aus Andorra. Wie oft liest man schon etwas aus diesem kleinen Land in den Pyrenäen? Die Empfehlung für die Lektüre -man fühle sich danach angeblich "inwendig ganz geläutert" - kommt von Achim Hölter. Der Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Uni Wien fand den Roman im Rahmen seines ehrgeizigen Freizeitprojekts, für das er 200 aktuelle Bücher aus 200 Ländern oder Sprachkulturen in exakt 200 Wörtern beschrieb.
Diese Reise wird aufschlussreicher als erwartet. Das liegt vor allem am ausführlichen Vorwort, in dem der Autor uns am Auswahlprozess teilhaben lässt. Er berichtet von seinen Entdeckungen in Buchhandlungen: Bei den Big Playern der Literatur wie den USA, Großbritannien, Japan oder Frankreich hatte er die Qual der Wahl. Dagegen sei etwa aus Albanien nur ein einziger Autor ins Deutsche übersetzt.
Hölter schreibt präzise und selbstreflexiv. 24 Mal komme in seinem Buch das Wort "korrupt" vor, gesteht er. Das sei eine Folge der thematischen Schlagseite der ausgewählten Werke: Migration, Konflikt, Bürgerkrieg und Instabilität häufen sich. Denn: "Migration erzeugt Schreiben und Schreiben - eine Intellektuellenexistenz, die sich ja nicht selten auch mit persönlicher Gefährdung verknüpft -erzeugt Migration." Daher tauchen häufig autobiografische Flüchtlingstexte auf, wie etwa "Die Orangen des Präsidenten" von Abbas Khider, der aus dem Irak stammt.
In Summe gewinnt man einen guten Überblick über aktuelle Weltliteratur, und für jeden Geschmack ist etwas dabei: vom Krimi bis zum Jugendbuch. Beispielsweise eignet sich "Tagebuch eines Teilzeit-Indianers" vom Spokane-Stamm als Schullektüre. Wir lesen von Übersetzungen aus Swahili, dem Tamilischen und der Sprache der Inuit. So geht spannende Komparatistik im Praxistest!