

Armer schwarzer Kater, blinde Kuh und wilder Mann
Kirstin Breitenfellner in FALTER 34/2015 vom 21.08.2015 (S. 39)
In Zeiten von Onlinespielen, Xbox und Co gehen die Regeln alter Kinderspiele verloren
Das Schöne an den Kinderspielen vergangener Generationen ist, dass man dafür kein gekauftes Spielzeug braucht. Die Krux besteht hingegen darin, dass man für viele dieser Spiele zahlreiche Mitspieler benötigt. Und zwar leibhaftige, nicht virtuelle. Reale Spielpartner sind mittlerweile aber ebenso oft Mangelware, wie Kinderzimmer mit fantasietötendem Spielzeug überfüllt sind. Dafür hat die Langeweile proportional zur Spielzeugmenge zugenommen.
Dabei kann es so einfach sein. Etwa indem man ein paar Steine wirft und schaut, wer näher an ein vereinbartes Ziel herankommt. Oder einen Maiskolben zur Puppe erklärt. Man ernennt ein Kind zum „wilden Mann“ und versucht ihm zu entkommen. Einige alte Kinderspiele kann man sogar allein spielen, etwa Geschicklichkeitsspiele wie Stanerlspüln (siehe Kasten).
Ohne pädagogischen Zeigefinger trainieren sie Körper und Geist, Koordination, Reaktionsgeschwindigkeit, Affektkontrolle und Frustrationstoleranz, aber auch Fairness, Durchsetzungsvermögen und die Einschätzung von Gefahren. Oder Sprache und Gedächtnis wie beispielsweise Zungenbrecher: Wir Wiener Wäscheweiber wollen weiße Wäsche waschen, weiße Wäsche waschen wir Wiener Wäscheweiber.
Vor gut 80 Jahren untersuchte Johan Huizinga die Rolle des Spiels nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen und schuf mit seinem Begriff vom „Homo ludens“, vom spielenden Menschen, die Theorie, dass Kultur sich „in und als Spiel“ entfaltet. Das Spiel vereint nach Huizinga großzügige Zwecklosigkeit und heiligen Ernst und stellt damit so etwas wie den Ursprung des Menschseins dar. Spiele wie Räuber und Gendarm, Blinde Kuh, Himmel und Hölle oder Pfitschigogerln (siehe Kasten) haben Regeln, aber die geben nur einen flexiblen Rahmen vor. Gespielt werden sie überall ein bisschen anders. Schon Dreijährigen macht es Spaß, Bekanntes zu variieren, mit einem Wort, kreativ zu sein. Das Traurige: All diese Spiele gehen schnell verloren, wenn ihre Regeln nicht weitergegeben werden.
Die Historikerin und Museumspädagogin Inge Friedl hat sich mit Veröffentlichungen wie „Familienleben in alter Zeit“ (2007) und „Vom einfachen Leben“ (2011) einen Namen als Chronistin des Alltags einer vergangenen Epoche gemacht. Für ihr neues Buch „Alte Kinderspiele einst und jetzt“ hat sie über 100 Frauen und Männer – vor allem aus Oberösterreich – gebeten, ihre Kinderspiele zu beschreiben.
Herausgekommen ist nicht nur eine einzigartige historische Sammlung, sondern gleichzeitig so etwas wie eine Phänomenologie des Spiels. Erstaunlich viele der hier beschriebenen Spiele sind auch auf Pieter Bruegels berühmtem Gemälde „Die Kinderspiele“ von 1560 abgebildet. In Friedls Buch werden viele von ihnen entschlüsselt.
Es lohnt sich, sie auszuprobieren. Zum Beispiel „Wer bin ich?“, ein simples Spiel, bei dem einem Kind ein Zettel mit dem Namen einer bekannten Persönlichkeit auf den Rücken geklebt wird. Das Kind muss raten, wer es ist, und darf dabei nur Fragen stellen, die mit Ja oder Nein beantwortet werden können.
Dass Kinder zwar Anregungen brauchen, es aber nicht immer ein fertiges Animationspaket sein muss, wird nun wieder immer mehr Erwachsenen bewusst. So wagen neuerdings Kindergärten, Horte und Spielgruppen spielzeugfreie Tage oder sogar Wochen. Bastelsachen sind dabei freilich erlaubt. Anfangs müssen die Pädagoginnen die Kinder oft noch mit Vorschlägen unterstützen, aber schnell geht es von allein. Schließlich ist Spielen die natürlichste Sache der Welt.
Alte Kinderspiele zum Nachmachen
Armer schwarzer Kater: Ein Kind spielt den Kater, der von einem anderen mit den Worten „Armer schwarzer Kater“ dreimal gestreichelt wird. Dabei darf der Kater die fürchterlichsten Grimassen schneiden und miauen. Wenn der Tröster lacht oder eine Miene verzieht, hat er verloren.
Stanerlspüln: Man braucht fünf kleine Steine oder Bälle. Ein Stein wird hochgeworfen, dabei mit derselben Hand ein weiterer aufgeklaubt und der erste wieder gefangen. Bei jedem Spielzug steigt die Zahl der aufzuklaubenden Steine.
Pfitschigogerln: eine Art Tischfußball, bei dem eine kleine Münze den Ball darstellt. Sie liegt in der Tischmitte und muss mit großen Münzen mittels Kamm oder Lineal in ein aufgezeichnetes Tor bugsiert werden. Jeder Spieler hat fünf bis zehn Versuche. Der mit den meisten Toren gewinnt.