Das wilde Europa

Der Balkan in den Augen westlicher Reisender
328 Seiten, Hardcover
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Reihe Zur Kunde Südosteuropas
ISBN 9783205796749
Erscheinungsdatum 13.06.2016
Genre Geschichte/Neuzeit bis 1918
Verlag Böhlau Wien
Übersetzung Karin Almasy
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Brill Deutschland GmbH
Wollmarktstr. 115 | DE-33098 Paderborn
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Kurzbeschreibung des Verlags

Wie wurde der Balkan von westeuropäischen Reisenden und Experten von der Mitte des 16. bis zum späten 20. Jahrhundert wahrgenommen? Viele von ihnen verstanden die Region als Teil Asiens und trachteten dementsprechend danach, die Zeitgenossen über die dort herrschenden »exotischen«‚ »seltsamen« und »primitiven« Sitten zu informieren. Božidar Jezernik untersucht über tausend Originalberichte und vergleicht Schilderungen in einem Zeitraum von beinahe einem halben Jahrtausend. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die über die Jahrhunderte tradierten Eindrücke in vielerlei Hinsicht mehr über Westeuropa aussagen als über die bereisten Länder und Völker.

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FALTER-Rezension

Fakt & Vorurteil: Was wir vom Balkan glauben wollen

Norbert Mappes-Niediek in FALTER 39/2016 vom 30.09.2016 (S. 20)

Der Balkan ist, wie man weiß, das Letzte. Den Fortschrittlichen ist er zu rückständig, den Romantikern zu modern. Keine zivilisierten Europäer trifft man hier, aber auch keine edlen Wilden. Der slowenische Ethnologe Bozidar Jezernik weist mit einem Ritt durch die Reiseliteratur aus vier Jahrhunderten nach, dass es eigentlich schon immer so war.
Die Autoren, die er zitiert, übertreffen einander in ihren Urteilen über die barbarische, unwirtliche Weltgegend mit den erbärmlichen Straßen, verlausten Matratzen und zänkischen Völkern. Modernisierung macht es nicht besser, ganz im Gegenteil: Wo es einst wenigstens ein bisschen Ursprüngliches zu entdecken gab, stehen jetzt schäbige Kulturruinen. Der Balkan konnte es den westlichen Reisenden einfach nicht recht machen. Hübsch auf den Punkt gebracht hat seinen Eindruck der Brite James Fraser, als er 1836 vom damals österreichischen Semlin über die Donau nach Belgrad übersetzte und sich fühlte, als würde er „die Welt der Lebenden gegen die Welt der Toten tauschen“.
Der geschulte Leser ahnt: Die Reisenden hatten alle ein mächtiges Vorurteil. Der Befund lässt sich tatsächlich nicht bezweifeln. Ein schönes Beispiel für die Zähigkeit vorgefasster Meinungen ist die berühmte Brücke von Mostar in der Herzegowina. Bis weit ins 20. Jahrhundert wollte es einfach niemand für möglich halten, dass „Balkanesen“ oder gar Türken das elegante Bauwerk geschaffen hatten. Ohne jeden Anhaltspunkt und gegen alle Indizien stand überall zu lesen, die Brücke von Mostar sei „wahrscheinlich römischen Ursprungs“.

Radikaler Konstruktivismus
Aber ist wirklich alles, was westliche Reisende über Rückständigkeit, Schäbigkeit, Indolenz geschrieben haben, nur ein Vorurteil? Um diese Frage drückt sich Jezernik konsequent herum. Seine Zunft macht ihm die Ausflüchte leicht. Über die Wirklichkeit kann man keine Aussagen treffen, nur über „die Bilder, die wir uns von ihr machen“. Das glaubt inzwischen jeder Bachelor. Sich mit Fakten zu befassen ist aus der Mode gekommen und gilt als erkenntnistheoretisch naiv. Nicht der Balkan kann Gegenstand der Forschung sein, sondern nur das „Balkanbild“.
In die Balkanforschung eingeführt hat diese Perspektive die US-Historikerin Maria Todorova. Nach ihr ist die Region an sich schon eine Erfindung des Westens, geschaffen als „das Andere“, gegen das man sich dann schön absetzen kann. Seither sind festmeterweise Bücher über „Mythen“, „Legenden“ und „Bilder“ erschienen. Immer erfährt man dasselbe: Es gibt den Balkan gar nicht – so wenig wie den Nahen Osten, das Mittelalter, die Roma. Der Grundgedanke des radikalen Konstruktivismus lässt sich beliebig anwenden. Immer kommt dabei her­aus: Alles ist bloß Hirngespinst, Vorurteil, Mythos, Erfindung, Konstruktion. Und damit ist auch alles, was dazu geforscht wird, gleichermaßen zum Gähnen.
Dass sein Buch trotzdem alles andere als langweilig zu lesen ist, ist einem argumentativen Trick Jezerniks geschuldet: Er erzählt munter vom Balkan und tut so, als sei alles bloß Ideologiekritik. In Wirklichkeit aber sind die Reiseliteraten, deren „Mythen“ er angeblich vorführt, seine besten Quellen. Nur manchmal kann er ihnen, wie im Fall der Brücke von Mostar, Voreingenommenheit nachweisen. Meistens kann er das nicht. Dann gibt er einfach wieder, was sie beobachtet haben. Stimmt es zum Beispiel wirklich, dass es in Sarajevo 1857 nur ganze zwei Kutschen gab, mit denen man mangels brauchbarer Straßen gar nicht fahren konnte? Darf man das dem russischen Reisenden, der es schrieb, glauben? Dem Konstruktivisten ist es einfach egal. Ihn interessiert nur, ob die Geschichte mit den zwei Kutschen in die Vorurteilsstruktur passt, die er aufdecken möchte.

Schwierige Quellenkritik
So hängen die farbigen, kurzweiligen Geschichten und Zustandsbeschreibungen vom Balkan, die Jezernik ausgegraben hat, alle merkwürdig in der Luft. Quellenkritik ist schwierig. Offizielle Dokumente sind bis ins 20. Jahrhundert hinein in arabischer Schrift gehalten – und die beschönigenden Berichte osmanischer Beamter dürften per saldo auch nicht viel glaubwürdiger sein als die Abenteuergeschichten prahlender britischer Reisender. Vieles in dem kundig und sorgfältig übersetzten Buch ist für jemanden, der den Balkan kennenlernen will, hoch­interessant – die Geschichte der Kaffeehäuser zum Beispiel, die Kleidung muslimischer Frauen, aber auch die Kriegs- und Mordkultur. Nur erfährt man eben nie, was der Autor von den Erzählungen glaubt und was nicht, geschweige denn, was stimmt und was nicht. Am Ende schließt sich der Kreis: Was als maximal quellenkritisch daherkommt, wird zur Anekdotensammlung.
Am interessantesten ist das Buch da, wo Jezernik die ganze Mythenentlarvung beiseitelässt und ernsthaft Hypothesen diskutiert. Zum Beispiel fällt einem auf dem Balkan – und bis tief ins anatolische Kappadozien hinein – auf, dass jemand den Heiligen auf Kirchenfresken die Augen ausgekratzt hat. Das waren aber nicht christenfeindliche Muslime, wie Jezernik glaubhaft macht, sondern abergläubische Bauern, die meinten, der abgekratzte Putz an der Stelle helfe gegen Augenkrankheiten.
Solch aufklärerischer Zugang ist der ganzen historischen und kulturwissenschaftlichen Forschung zu wünschen. Irgendwann wüssten wir aus wissenschaftlichem Munde dann auch einmal gerne, warum tatsächlich so viele Städte auf dem Balkan so schäbig sind, warum so viele Menschen von dort wegwollen, warum die Region wirtschaftlich nicht auf die Füße kommt, die Korruption grassiert und der Nationalismus nicht kleinzukriegen ist. Dass wir darüber hinaus ganz viele Vorurteile haben, ist uns inzwischen hinreichend bewusst.

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