

#neglecting fatherhood
Gertraud Klemm in FALTER 10/2017 vom 10.03.2017 (S. 26)
Keppeln, keifen, sudern
Eine Frau, die geduldig vier Kinder, drei davon Kleinkinder, anzieht. Bei vier Paar Skischuhen, acht Armen, acht Handschuhen, Helmen, Brillen fällt es schwer, nicht einzugreifen.
Der untersetzte Mann, der fertig angezogen daneben wartet und gutgelaunt in sein Handy tippt, ist der Vater und fühlt sich offenbar nicht zuständig. Würde ich die Familie nicht aus dem Frühstücksraum der Pension kennen, ich würde meinen, er gehöre nicht dazu, so unbeteiligt und fremd wirkt er. Wir sind in Mitteleuropa, in Schladming, 2016. Nicht in Afghanistan. Und die Frau sieht, zugegeben, gar nicht geknechtet aus. Das Ganze ginge mich auch nichts an, würde hier nicht ein kleines Lehrstück darüber aufgeführt, was in diesem Land schiefläuft.
Ich verzweifle an diesem Mann im Skistall, der in so einer Situation einfach nicht zuständig sein darf. Und ich ärgere mich über die Frau, die ihn so gottergeben und selbstgewiss aus der Pflicht nimmt. Ich will sie an den Schultern fassen, sie schütteln und sagen: Willst du den Erzeuger nicht ein bisschen einspannen? Stell dir vor, du kriegst Brustkrebs und dein Mann kann das alles nicht – willst du es ihm nicht beibringen? Wollt ihr nicht versuchen, ein besseres Vorbild für eure vier Kinder zu sein? Und zum Mann will ich sagen: Hilf deiner Frau gefälligst, du Arsch, geht’s noch egoistischer?!
Mit Egoismus kenne ich mich aus. Letztes Jahr hatte ich meinen selbstsüchtigen Höhenflug. Nicht nur jettete ich von Lesung zu Lesung, sondern war noch dazu 19 Tage in Italien, durchgehend, ein Stipendium einlösend, das ich wegen der Kinder schon oft aufgeschoben hatte. Anfangs hielt ich es geheim, weil ich mich für meine lange Abwesenheit pflichtgetreu schämte. Aber der Egoismus war stärker als die Scham. Als ich meiner Umgebung von meinem Stipendium beichtete, löste es im bürgerlichen Speckgürtelmilieu einen kollektiven Ohnmachtsanfall aus. Die armen Kinder! Der Mann, sein Beruf! Muss denn das sein? Ohne Schreiben kein Buch, und ohne Buch kein Geld, erklärte ich. Aber wenn der Mann eh gut verdient?
Ich flog, mein Mann übernahm. Er wurde dafür bemitleidet und bewundert, beides uferlos. Er machte alles, was ich so mache, wenn ich nicht abwesend bin: arbeiten, einkaufen, Essen machen, Hausaufgaben, den Haushalt vernachlässigen. Während er Tag für Tag zwischen Beruf und Familie grätschte, saß ich in Italien und hatte ein schlechtes Gewissen, aber ich schrieb in den 19 Tagen mehr als im halben Jahr davor. Als ich zurückkam, hörte ich, dass ich viel verlange. Von unseren Kindern. Von dem Mann, der wirklich brav sei.
2016, Mitteleuropa. 19 Tage mütterliche Abwesenheit sind eine Art Naturkatastrophe. Die vielen Absenzen meines Mannes, der jahrelang nur am Wochenende da war, als das erste Kind noch klein war, können da nicht mithalten. Väterliche Abwesenheit und mütterliche Präsenz ist Norm, und Norm wird nicht hinterfragt.
Mir wird gerne vorgeworfen, meine Protagonistinnen seien nicht zeitgemäß. Die seien doch in den finsteren vorfeministischen Tiefen der 1950er-Jahre angesiedelt! Das Milieu sei längst ausgestorben, gähnten vor allem die Feministinnen, die mich als misogyn bezeichneten und lieber einen Roman über moderne Superheldinnen mit rezenten Problemen gelesen hätten. Und überhaupt: #regrettingmotherhood-Schublade auf, Klemm rein, Schublade zu.
Aus meiner Schublade heraus muss ich heftig widersprechen.
Es ist schwierig, unbezahlte Arbeit zu beziffern, wenn sie in Liebe gemessen wird. Mutterliebe ist so österreichisch wie das Schnitzel. Dass das Private politisch ist, wissen wir seit Simone de Beauvoir, aber wie wir das Politische ins Privatleben hineinkriegen, bleibt ein Rätsel. Besonders schwierig wird es, wenn Frauen freiwillig weniger oder nicht arbeiten. Wenn sie aus Liebe zurückstecken. Wenn sie gerne dem Mann den Rücken freihalten. Wenn sie instinktiv die Alleinherrschaft über den Kinderkosmos inklusive aller Handschuhe und Windeln an sich reißen. Die unbezifferbare weibliche Kinder- und Haushaltspflege, die oft weit von Brust und Nabelschnur entfernt ist. Ihre Bezifferung nimmt uns der Pensionsrechner ab, ihm entgeht keine Sekunde, die nicht in Erwerbsarbeit gesteckt wurde. Bezahlt wird mit mieser Altersvorsorge, vertanen Chancen auf beruflichen Erfolg und schlechtem Verdienst.
In Österreich heißt das: Trotz besserer Bildung der Frauen 18 Prozent Gender Pay Gap bei Vollzeitbeschäftigten, 39 Prozent weniger Bruttoeinkommen für Frauen, halb so hohe Frauenpensionen wie Männerpensionen, fast dreimal so viel Hausarbeit (27 gegen elf Stunden pro Woche), Armutsgefährdung bei alten und alleinerziehenden Frauen, frauenfreie Vorstandsetagen, sinkende Frauenanteile im Parlament. Zum Trost gibt’s die allerbesten Chancen auf eine Beförderung in den unbezahlten, töchterlichen oder schwiegertöchterlichen Pflegedienst (73 % der privat pflegenden Angehörigen sind weiblich). Wobei natürlich immer zu hoffen ist, dass einen der Mann, dem man den Rücken freigehalten hat, bis zum Tod durchfüttert.
Wenn ich mir die deutschen Zahlen ansehe (46 % der Frauen teilzeitbeschäftigt, 21 % Gender Pay Gap), finde ich meine Protagonistinnen richtig trendy.
Wenn wir schon bei den Zahlen sind: Die, die bei Befragungen angegeben werden (und auf die ist man ja angewiesen), stimmen nicht. Laut einer Studie von Sarah Speck belügen wir uns selbst und einander, was die Aufteilung der unbezahlten Tätigkeiten betrifft. Und je gebildeter, desto raffinierter und wortgewandter lügen wir. Auch wenn die Frauen für das Haupteinkommen sorgen. Keine Ausrede ist zu blöd, wenn es darum geht, die immer noch aufrechten Machtverhältnisse schönzureden. Da werden unterschiedliche Sauberkeitsstandards zitiert, da halten „Kochen für Gäste“ und „Wäsche-eines-Mehrpersonenhaushalts-Schupfen“ einander die Waage, da wird das wöchentliche Müllruntertragen als adäquate Gegenleistung für Einkaufen und Kochen gefeiert.
Da wird nach den Gesetzen der Homöopathie um Ursache und Wirkung geschachert, was im Alltag so aussieht:
Gut ausgebildete Frauen, die freiwillig zurückstecken, und zwar ein Leben lang. Die es nicht als Zurückstecken sehen, sondern als Mutterpflicht, als Liebesdienst. Frauen, die aus dem Beruf in den Kindergarten (so er Nachmittagsbetreuung hat!) hetzen, danach in den Supermarkt und dabei immer schön die Kinder domptieren. Podiumsdiskussionen mit Expertinnen, die sich abmühen, die Unvereinbarkeit von weiblichem Beruf und Familie aufzudröseln. Omis, die es bei solchen Veranstaltungen immer gibt und die aufzeigen und entrüstet bestätigen, dass sie gerne und gut und voll der Mutterliebe gedient haben und nichts, aber auch wirklich nichts bereuen.
Das könnte jetzt noch ewig so weitergehen, aber ich will es abkürzen. Der einzige Vater, der in diesem Text bis jetzt vorgekommen ist (meinen wirklich braven Mann ausgenommen), ist übrigens der Arsch, der Social-Media-Kontakte pflegt, während die Frau den Oktopus anzieht. Das Geldverdienen entbindet den Vater, der noch Ressourcen hat, von allem Unbezahlten; auch im Diskurs. Es gibt keine Vereinbarkeitsdebatte über Vaterschaft und Beruf, weil für beides locker Platz ist, wenn einem der Rücken freigehalten wird. Väter werden heute mehr in die Pflicht genommen, keine Frage. Aber in dem Artikel über das Burnout einer vollzeitbeschäftigten Mutter, die um fünf Uhr aufstehen muss und alles reinquetscht, was noch vor dem Arbeitsbeginn so anfällt – und der Rest wird dann reingequetscht, wenn die Kinder im Bett sind –, kommt der Papi, der vielleicht auch ein bisschen früher aufstehen und Mami helfen könnte, quasi nicht vor. Auch nicht im Interview mit der Musikerin, die ihr Bedürfnis zu musizieren unterstreicht, gleichzeitig die Unvereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf beklagt und zum Schluss die gute alte Mutterliebe auspackt und mit ihr all ihre Visionen vom Tisch fegt: Sie mache diese Abstriche gerne, denn die Zeit mit den Kindern würde man, wie Omi immer sagt, nie bereuen. Mamis Visionen im Keller, Babys Bedürfnisse auf dem Podest und zum Schluss die Absegnung des Missstandes mit dem obligatorischen Opferseufzer. Der Vater? Eine Leerstelle. Vielleicht bringt er sich ein, aber das ist, im Gegensatz zu Omis groooßer Hilfe, ohne die nix geht, keine Erwähnung wert.
Wenn ich von der Realität genug habe, versuche ich mich abzulenken, aber die Realität holt mich überall ein. „Teile dies, wenn du stolz auf deinen Sohn bist.“ „Drei Boschihauben in einer Woche gehäkelt! Yeah!“ „Hilfe, der Zwergenclub hat zugesperrt! Wo kann ich mit meiner zweijährigen Maus Geburtstag feiern??“
Leck mich am Arsch, Facebook. Du bist das Gruselkabinett unserer Lebensrealitäten. Hier kann ich nicht nur mitverfolgen, wie sich berufstätige, intelligente Frauen mit Bastel- und Pädagogiktricks von jeglichem Verdacht auf Nichtmütterlicheit reinwaschen, ich kann auch zähneknirschend feststellen, wie sich dort Männer (sympathischerweise) raushalten.
In Schweden ist sie längst Alltag, die geschlechtergerechte Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Steuerpolitik, flächendeckende Kinderbetreuung und ein flexibler Arbeitsmarkt machen das hierzulande Undenkbare möglich – mit ansehnlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen. In Österreich wird die Ressource Vater nicht einmal angedacht. Ist es Realitätsverweigerung oder Privilegien-Horten? Österreichische Väter werden statistisch nur in Ausnahmesituationen in die Erziehungspflicht genommen, mit all ihren Konsequenzen, während ihre Frauen sich trotz guter Ausbildung nicht als Ernährerinnen definieren. So betrügen beide sich selbst (und einander) um wichtige Facetten eines modernen Lebensprinzips, in dem wir kompetent in beidem sein könnten: als vollwertiger Elternteil und als Erwerbstätige – im Alltag und nicht nur im Notfall.
Es muss diese Abschottung vom Alltag mit Kindern sein, die solche Männer wie den Arsch im Skistall hervorbringt. Wie kann es sonst sein, dass nicht einmal im engsten Familienverband mit Mitgefühl gerechnet werden darf? Es sind Väter von Töchtern, die ich sagen gehört habe: Ich stell nie im Leben eine Frau in meiner Firma ein. Die sich nicht vorstellen können, die Töchter in der Hymne zu besingen. Es sind liebende Angehörige, die es mit dem Beschluss von Gesetzen ihren Töchtern, Schwestern, Müttern, Ehefrauen so schwer machen, gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu bekommen. Aber auch Frauen bringen nur wenig Empathie für ihr eigenes Geschlecht auf, wenn sie Parteien wählen, die sich an fundamentalen, mit Zähnen und Klauen erstrittenen Frauenrechten wie straffreiem Schwangerschaftsabbruch oder Schutz vor Gewalt vergreifen wollen – Situationen, in die jede einzelne Frau viel zu schnell hineingeraten kann.
Der Feminismus ist tot und noch ein bissl toter, seit die hereinströmenden Muslime unsere schönen Frauenrechte untergraben. Die Rechtspopulisten reiben sich die Hände. Was sind schon zwei Drittel der Hausarbeit gegen das Autofahrverbot von Frauen in Saudi-Arabien? Was ist schon das bisschen ungleiche Bezahlung und Sexismus gegen Burka und Beschneidung? First world problems!
Es ist leicht, über die Frauenrechtsbewegung die Nase zu rümpfen, wenn man nichts anderes kennt als ihre Errungenschaften. Wenn man in eine Speckschwarte hineingeboren wird, wie soll man sich da den Hunger vorstellen?
Sich zu informieren ist ein Anfang. Der Feminismus hat viel geleistet, aber er ist viel zu leise geworden und viel zu beschäftigt damit, seine Kinder zu fressen; noch dazu kann er politisch nicht lösen, was privat verabsäumt wurde. Er kann uns informieren, wachrütteln und uns die Prinzipien der Gleichberechtigung auf die Türmatte legen – den Konflikt müssen wir leider selber austragen, und zwar nicht auf der Straße oder in den Vorstandsetagen, sondern an den Tischen und in den Betten, die wir mit unseren Liebsten teilen.
Keppeln, keifen, sudern. Das ist das Vokabular, das uns die Gesellschaft für die Mitteilung von Geschlechterungerechtigkeit zur Verfügung stellt. Egoistinnen sind wir, karrieregeil, wehleidig, herzlos, selbstsüchtig. Rabenmütter. Mit diesen Zuweisungen lebt es sich leichter, wenn man ihnen konsequent die Ressource Vater gegenüberstellt und sich konstant fragt: Muss ich wirklich allen Kindern die Handschuhe alleine anziehen? Bricht unser Arbeitsmarkt wirklich zusammen, wenn wir ein schwedisches System andenken? Sterben die Kinder wirklich an Liebesentzug, wenn sie nachmittags fremdbetreut werden?
Im letzten Bericht des Jugendmonitors gaben zwei Drittel der jungen Männer an, sich um das Geldverdienen kümmern zu wollen und Frauen den Haushalt und die Kinder zu überlassen; 50 Prozent der weiblichen Jugendlichen bejahten das.
Zieht euch warm an, liebe Töchter.
Frauen sollen Marathons laufen und fruchtbar sein
Dominika Meindl in FALTER 18/2016 vom 06.05.2016 (S. 34)
In einer besseren Gegenwart wäre derzeit Mutterschaft das große Thema. Reichten früher Abtreibungsplädoyers für den großen Tabubruch, mussten es unlängst schon Sibylle Lewitscharoffs unglückliche Retorten-„Halbwesen“ sein. Aktuell erregt die Reue übers Muttersein.
Gertraud Klemm hingegen vermisste, unter autobiografischem Leidensdruck stehend, das Gegenteil: Texte über ungewollte Kinderlosigkeit. „Das Buch, das mich tröstet, muss ich mir wohl selber schreiben“, heißt es im Roman „Muttergehäuse“. Da kommt Skepsis auf: Ist das Buch Ergebnis einer Schreibtherapie?
Die Erzählerin, eine Biologin wie auch Klemm, versucht vergebens, schwanger zu werden. Sie sieht in der Fortpflanzung zwar nur eine „Art genetischen Juckreiz“. Dennoch wird ihr Kinderwunsch schließlich so mächtig, dass sie jedes „Leben, das in Überdosen produziert wird“, irritiert: „Algenwatten, Lauspölster, Mückenschwärme, Stadttauben“.
In Klemms Literatur ist der Kampf gegen überkommene Rollenbilder zentral. Problemzone Gebärmutter: Physische Enteignung widerfährt einer Frau nicht nur, wenn sie Mutter wird, sondern auch, wenn sie es nicht wird. Der weibliche Körper bleibt Kampfplatz, er soll Marathons laufen, schlank und fruchtbar zugleich sein.
Bei einem Urlaub in Afrika entsteht wieder keine Leibesfrucht, dafür reift der Adoptionswunsch. Der Kampf mit dem Körper schlägt um in Papierkriege, bis plötzlich alles schnell geht. Mit dem Kind kommen neue Zwänge und Probleme. Elternratgeber sind „voll geheimer Gebote in Pastellsprache“. Und wird der Nazi-Großvater das schwarze Kind akzeptieren?
Mit bösem Witz beschreibt Klemm das Alleinsein der Mütter und öde Stunden am Spielplatz: „Gemeinsam verblöden wir an der frischen Luft und am Abend erinnert sich keine an irgendwas.“ „Muttergehäuse“ ist dicht und präzise, kein Roman, eher ein Journal – eben jenes Buch, das Klemm in der Zeit ihrer Familiengründung gerne gelesen hätte. Gut, dass sie es geschrieben hat. Tröstungsliteratur ist das nicht, schon gar keine pastellfarbene.