

Eine „Tea Party“ für die NÖN
Nina Horaczek in FALTER 24/2017 vom 16.06.2017 (S. 20)
Die neue Herausgeberin der Niederösterreichischen Nachrichten ist fundamental-katholisch-konservativ
Gudula Walterskirchen will nicht mit dem Falter sprechen, und das kam so: Im Dezember 2015 schrieb die Presse-Kolumnistin, Muslime würden sich durch die vielen Christkindlmärkte „vermehrt beleidigt“ fühlen. Weil sie für diese Behauptung keine Beweise lieferte, kürte der Falter sie zum „Dolm der Woche“. Deshalb ist Walterskirchen beleidigt.
Jetzt hat die konservative Publizistin einen Karrieresprung gemacht: Die Historikerin und freie Journalistin ist Obfrau des Pressevereins der Diözese St. Pölten. Zum ersten Mal in der 143-jährigen Geschichte hat kein Priester diese Funktion inne. Und auch zum ersten Mal ist eine Frau Herausgeberin der Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN) und der Burgenländischen Volkszeitung (BVZ) – und nicht irgendeine.
Die niederösterreichische Version der Tea Party. So könnte man die neue Herausgeberin beschreiben. Sie steht an der Spitze der Wochenzeitungsgiganten der beiden Bundesländer. Die NÖN sind mit fast 38 Prozent Reichweite in Niederösterreich Platzhirsch, die BVZ ist mit etwa 127.000 Leserinnen und Lesern im Burgenland vorne dabei.
In ihren wöchentlichen Presse-Gastkommentaren fiel Walterskirchen auf als Kämpferin gegen die Homo-Ehe, „Gender-Wahn“, Muslime und Ganztagsschulen, die sie „Zwangstagsschulen“ nennt. Sie kritisiert die Sexualaufklärung in Kindergärten und Volksschulen wie auch die Fristenlösung.
So meinte sie zum Beispiel angesichts der Kriege im Nahen Osten, „besonders Kinder als unschuldige Opfer des Krieges können sich des Mitgefühls der Europäer sicher sein“. Dasselbe sei bei Todesstrafe und Sterbehilfe der Fall. Dann setzt Walterskirchen die im Krieg ermordeten Kinder in Bezug zu Schwangerschaftsabbrüchen: „Geht es jedoch um Abtreibung, ist alle Empathie wie weggeblasen. Es soll keine öffentliche Debatte geben, man will darüber, über das Schicksal der Mütter und der Ungeborenen, nichts wissen.“
Über Sexualerziehung in Kindergärten und in Volksschulen behauptete Walterskirchen, in manchen deutschen Bundesländern „wurden in Kindergärten ,Kuschelhöhlen‘ eingerichtet, wo Kinder zur Masturbation ermuntert werden. In Volksschulen werden Sexspielzeuge verteilt und alle möglichen Sexualpraktiken detailliert geschildert, was die Kinder teils schwer verstört und teils zur Nachahmung animiert.“ Der zuständigen Ministerin warf Walterskirchen den Straftatbestand der gewollten „sexuellen Belästigung von Kindern an Schulen“ vor.
Auch hier fehlte der Beleg, Kinder würden gezwungen, mit Sextoys zu spielen.
Auf nochmalige Falter-Nachfrage, ob sie denn nun einen Beleg für ihre Behauptungen vorlegen könne, antwortete Walterskirchen per Mail zuerst, es gebe „Dutzende Leserbriefe und mittlerweile auch mutige Eltern, die namentlich und öffentlich davon Zeugnis geben, vor allem in Vorarlberg“. Die Sprecherin des Vorarlberger Landesschulrats hingegen sagt: „Uns wurde kein einziger derartiger Vorfall im Sexualkundeunterricht gemeldet.“
Nun meint die NÖN-Herausgeberin per Mail: „Bei so einem heiklen Thema ist es meiner Ansicht nach Aufgabe der Medien, sich auf die Seite der Kinder zu stellen und nicht bei der Schweigespirale der Behörden mitzumachen.“ Schließlich verweist Walterskirchen auf Sexualaufklärung, in der Kindern Nachbildungen von Penissen und Vaginas aus buntem Stoff oder Gips gezeigt werden.
Zu ihrer Behauptung, Muslime würden sich durch Weihnachtsmärkte gestört fühlen, führt Walterskirchen nun, eineinhalb Jahre später, per Mail als Beweis an, dass es vergangene Weihnachten in Berlin einen islamistisch motivierten Anschlag auf den Weihnachtsmarkt gegeben habe.
In einem Presse-Kommentar über die außerhäusliche Betreuung von Kleinkindern zitiert sie einen Psychiater, der erklärt, straffällige Jugendliche konnten alle in den ersten zwei, drei Lebensjahren keine gute Bindung aufbauen – und suggeriert damit, Kleinkinder, die Krippen besuchen, liefen eher Gefahr, straffällig zu werden.
Auch an den Konservativen lässt Walterskirchen kein gutes Haar. Die ÖVP würde einen „gesellschaftspolitisch linken Kurs“ fahren und habe daran „mitgewirkt, Unternehmerhatz zu betreiben und den Wirtschaftsstandort Österreich zu beschädigen“, schreibt sie im Mai 2016 .
Neben ihrer journalistischen Tätigkeit ist die Historikerin auch Buchautorin. Zu ihren Lieblingsthemen zählen der Adel – Walterskirchen stammt aus einer bürgerlichen, streng katholischen Familie, hat aber in den Adel eingeheiratet. In ihren historischen Büchern vertritt sie zum Beispiel die These, der Bürgerkrieg im Februar 1934 sei ausgebrochen, weil die Sozialisten von Nazis unterwandert gewesen seien, eine Behauptung, die Oliver Rathkolb, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der Uni Wien, als „im Bereich des Romans und nicht der wissenschaftlichen Forschung“ ansiedelt.
So streitbar Walterskirchen als Publizistin ist, so freundlich beschreiben sie Bekannte. In der Presse gilt die Kommentatorin als sympathisch. Auch ihr früherer Presse-Kollege Michael Prüller, nun Sprecher der Erzdiözese Wien, nennt sie „gescheit, unkompliziert und angenehm selbstbewusst“. Wie weit sich unter der neuen Herausgeberin die NÖN inhaltlich ändern wird? „Wir haben am 28. Juni die erste Redaktionskonferenz“, sagt NÖN-Chefredakteur Martin Gebhart, „die Blattlinie ist aber im Redakteursstatut festgeschrieben.“ Walterskirchen antwortet etwas kryptisch: „Es geht bei der Herausgeberschaft um die Blattlinie, nicht um meine persönlichen Ansichten.“
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