

Von der Bassenawohnung auf den Küniglberg
Nina Horaczek in FALTER 8/2020 vom 21.02.2020 (S. 20)
Als eines von ganz wenigen Migrantenkindern schaffte Eser Akbaba den Sprung ins Fernsehen. In ihrem Buch verrät sie, wie
Statistisch gesehen hätte Eser Akbabas Lebensweg vor dem Schranken vom Küniglberg enden müssen. Lediglich 6,9 Prozent aller Kinder, deren Eltern nur die Pflichtschule besuchten, schaffen es auf eine Universität. In den Journalismus und dann sogar in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schaffen es noch weniger. Mehr als 23 Prozent der Menschen, die in Österreich leben, sind entweder selbst im Ausland geboren oder haben Eltern, die aus einem anderen Land stammen. In Wien sind es sogar 45,3 Prozent.
Im Journalismus sind Migranten aber immer noch eine absolute Minderheit. Akbaba hat es trotzdem geschafft, im ORF als Wettermoderatorin Karriere zu machen. Und zwar nicht in der Minderheitenredaktion „Heimat, fremde Heimat“, sondern im Mainstream-Programm zur besten Sendezeit. Dabei waren die Startbedingungen alles andere als optimal: Ihre Eltern kamen in den 1970er-Jahren aus der Türkei nach Österreich. Akbaba, in Wien geboren, wuchs mit ihren fünf Geschwistern in einer winzigen Hausbesorgerwohnung in Simmering auf. Wasser gab es in der Bassena am Gang, das Klo mussten sie mit anderen Mietern teilen.
Trotzdem schloss die Tochter ihr Publizistikstudium ab und machte als eine von ganz wenigen Migranten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Karriere. Seit 2009 präsentiert sie die Wetternachrichten im ORF-Fernsehen. Wie ihr das gelang und wie es sich anfühlt, als Kind von Gastarbeitern in Wien aufzuwachsen, hat sie jetzt gemeinsam mit ihrem ORF-Kollegen Jürgen Pettinger in Buchform zusammengefasst.
„Sie sprechen ja Deutsch!“ lautet der Titel des Buches, ein Satz, der sie ihr ganzes Leben begleitet. Dabei ist ihr Deutsch akzentfrei und sie ist ausgebildete Deutschlehrerin. In der Hauptschule, die sie selbst einst besucht hat, lernt sie heute jede Woche mit Kindern, denen es ähnlich geht wie ihr damals, als sie selbst Schülerin war und davon träumte, eines Tages wie der legendäre ORF-Wettermoderator Carl Michael Belcredi über den Bildschirm zu flimmern.
Denn obwohl die Eltern schlecht Deutsch verstanden, war die „Zeit im Bild“ um 19.30 Uhr ein Pflichttermin, zu dem sich die Familie versammelte. Saß die kleine Eser danach alleine auf der Kommode und starrte in den kleinen Spiegel, den ihre Eltern dort aufgehängt hatten, „dann war das für mich der Eingang zu meiner Traumwelt“, sagt sie. Eine Welt, in der sie Fernseh-Wetterfee war oder das Aschenputtel, eine Figur, mit der sie sich ganz besonders identifizieren konnte, „weil ich auch den Wunsch hatte, aus diesem Leben rauszukommen“.
Dass ihr im Gegensatz zu so vielen anderen dieser Sprung gelang, lag nicht zuletzt an „Tante Helga“, einer Kindergärtnerin, zu der ihre Mutter sie nach dem ersten Geburtstag brachte. Denn mehr als ein Jahr Babykarenz war für die Akbabas finanziell nicht drin. Dass sie von klein auf tagsüber nur Deutsch gehört habe, sei ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg gewesen, sagt Akbaba heute.
Doch mit sechs Jahren war es vorbei mit der Unterstützung. Die Eltern waren arbeiten, das Mädchen musste alleine mit den Hausaufgaben und Schularbeiten zurechtkommen. Dass ihre Mutter Analphabetin ist und ihr nicht helfen konnte, sei den Lehrern im Gymnasium und später in der Hauptschule nicht einmal aufgefallen. Geschämt habe sie sich für ihre Mutter aber nie, sagt Akbaba, ganz im Gegenteil. Auch dass sie schon als Kind auf Ämtern regelmäßig für die Eltern dolmetschen musste, habe sie nicht gestört.
Schlimm war hingegen die Sache mit dem Werkkoffer. In der ersten Klasse Gymnasium hatten alle Mitschüler schöne, neue Werkkoffer. Nur die kleine Eser fing sich eine Rüge ein, weil sie auch nach Wochen ohne Koffer im Werkunterricht saß. Dass es dafür in ihrer Familie kein Geld gab, habe sie sich nicht zu sagen getraut, schreibt sie.
Bereits nach einem Jahr schicken die Lehrer sie in die Hauptschule. „Von ,Schnösel Town‘ zu ,Little Istanbul‘“, so habe sich der Wechsel angefühlt. In der neuen Schule waren schließlich Kinder, die besser verstanden, wie es sich anfühlt, wenn die Familie am ersten Tag der Sommerferien das Auto bis obenhin vollpackte und es ab in die Türkei ging, ins Dorf im tiefsten Anatolien, wo abends, wenn es dunkel wurde, noch die Öllampen angezündet wurden.
Trotzdem gelang ihr nach der vierten Klasse der Sprung zurück ins Gymnasium und später die Matura. Dann, auf der Uni, entdeckte eine Freundin eine Annonce des neu gegründeten Migrantenmagazins Biber. Die Freundin nahm Akbaba mit zur Redaktionssitzung, und bald gehörten beide zum Pionierteam des bis heute erfolgreichen Monatsmagazins. Als Akbaba dann einmal bei einer Diskussion auf dem Podium saß, fiel der damaligen ORF-Chronikchefin Brigitte Handlos ihr Talent auf. So kam sie zum Fernsehen, wo sie uns bis heute das Wetter verrät. Nebenbei engagiert sie sich für Flüchtlinge und besucht als Positivbeispiel für Integration Schulen, und zwar als eine, die weiß, wie es sich anfühlt, wenn über „die Ausländer“ oder „die Türk’n“ geschimpft wird.
Schließlich klingt es fast wie ein Märchen, wie sich der Traum eines kleinen Mädchens, das in der Hausbesorgerwohnung in Simmering in einen kleinen Spiegel blickte, trotz aller Widerstände erfüllte. Aber das ist es wohl auch, was dieses Buch will: Mut machen und den Lesern das Gefühl geben, dass es sich lohnt, an seine Träume zu glauben.