

Verliebt, verfolgt, ermordet: Schwule in der NS-Zeit
Nina Horaczek in FALTER 41/2021 vom 13.10.2021 (S. 23)
In seinem neuen Roman erzählt der Journalist Jürgen Pettinger sehr berührend die Geschichte homosexueller NS-Opfer in Wien
Sein erstes sexuelles Erlebnis hatte Franz im Jahr 1936. Das Wetter war lau, die Gastgärten gut gefüllt, als der Bursche abends von der Handelsschule nachhause am Handelskai vorbeifuhr.
In der Straßenbahn erregte ein breitschultriger Mann zuerst mit Blicken und danach mit unauffälligen Berührungen die Aufmerksamkeit des Schülers. "In einer Kurve schien sich der Oberschenkel des Mannes ganz flüchtig an ihm zu reiben.
Die Angst, entdeckt zu werden, war längst dem Reiz der Intimität gewichen. Dass dieses Gefühl strafbar sein könnte, war Franz nicht bewusst. Er hatte ja nicht einmal ein Wort dafür." Die beiden gehen in den Prater, damals ein Treffpunkt Homosexueller, und dann in die Spätvorführung im Kino, wo sie sich ganz hinten im Kinosaal näherkommen.
Der ORF-Journalist und Moderator Jürgen Pettinger erzählt in seinem Buch "Franz. Schwul unter dem Hakenkreuz" von der Verfolgung homosexueller Menschen in Wien während des Nationalsozialismus. Pettinger hat die akribisch recherchierte Lebensgeschichte von Franz Doms in einen Roman gepackt.
Man leidet beim Lesen mit, wenn der junge Mann blind vor Liebe in eine Polizeirazzia in einer unter Schwulen beliebten Badeanstalt gerät, wie er damit kämpft, als "Warmer" seinen Eltern Probleme zu bereiten, und wie er seine erste große Liebe im Gefängnishof wiederentdeckt.
Schwul unterm Hakenkreuz Das Buch basiert auf einem Radiofeature des Autors, das 2017 auf Ö1 ausgestrahlt wurde. Franz Doms ist ein Jugendlicher aus Wien, der raus möchte aus der Enge der elterlichen Wohnung, in der er sich mit der älteren Schwester ein Kabinett teilt und der davon träumt, "sich einmal einen eigenen Wagen und Maßanzüge leisten zu können". Für Politik interessiert sich der Jugendliche nicht wirklich, vielmehr lässt er es sich gut gehen.
Tagsüber arbeitet er ab 1938 als Bürodiener in einem Unternehmen, in den Nächten treibt er sich in Cafés und Bierhallen herum, hat schnelle Nummern mit männlichen Zufallsbekanntschaften, die ihm dafür Geld zustecken. Schließlich verliebt er sich in Kurt, einen jungen Mann, der ihn in die geheime Schwulenszene der Stadt im und um den Prater einführt.
Vom Prater vor den Scharfrichter Homosexualität war auch vor dem Einmarsch der Nazis in Österreich verboten. Als "Unzucht wider die Natur" waren homosexuelle Sexualkontakte seit 1852 gesetzlich verboten.
Dem jungen Franz Doms ist das egal. Er genießt das Leben und die Liebe. Nur seine ältere Schwester Josefine erkennt, auf welch dünnem Eis sich ihr Bruder mit seinen Männerfreundschaften bewegt. Denn ab der Machtübernahme der Nationalsozialisten verfolgt die Polizei Homosexuelle noch viel stärker.
Alleine zwischen 1938 und 1939 vervierfacht sich die Zahl der wegen Homosexualität Verurteilten. Die Sittlichkeitspolizei führt Razzien an einschlägigen Orten wie Bädern durch und schleust Spitzel in die Szene ein - meist homosexuelle Männer, die selbst von der Polizei erwischt wurden und aus Angst vor einer Strafe andere Männerbekanntschaften ans Messer liefern. Auch Franz landet im Gefängnis. Beim ersten Mal im Jahr 1940 ist es die Nachbarin, die der Gestapo erzählt, Doms sei "ein Warmer". Weil er aber noch so jung ist und man noch an eine Besserung seines Lebenswandels glaubt, wird er nach vier Monaten Haft entlassen.
Nur wenige Monate später gerät er wieder in die Hände der Sittlichkeitspolizei. Er landet im Kerker und wird schließlich am 7. Februar vom Scharfrichter ermordet. Mit "Franz" hat Pettinger diesem NS-Opfer ein literarisches Denkmal gesetzt und an ein Unrecht erinnert, das viel zu lange ignoriert wurde.