

Triggerwarnung: Frauenmord
Katharina Kropshofer in FALTER 40/2022 vom 07.10.2022 (S. 22)
Ihre Kollegin Cordula Koc hat Yvonne Widler, Kurier-Journalistin und Buchautorin, nicht mehr kennengelernt. Koc war Redaktionsassistentin -bis sie 2006 Opfer eines Femizids wurde. Das Schicksal ihrer Kollegin und vieler anderer Frauen ließ Widler nicht los. Immer wieder berichtete sie über die Hintergründe, einzelne Femizidfälle. Oder genauer gesagt: viel zu oft.
Wer sich auf diese Reise begeben will, soll das nicht ohne Vorwarnung tun, die Triggerwarnung steht hier nicht umsonst. Zuerst das Wichtigste: Ja, Österreich gehört zu den Spitzenreitern. 319 Frauenmorde und 458 Mordversuche an Frauen gab es hier zwischen Anfang 2010 und Ende 2020. So viele, dass die rote Zahl an der Femizid-Gedenkwand am Yppenplatz zweibis dreimal pro Monat aktualisiert werden muss. Österreich ist auch das einzige Land in Europa, in dem mehr Morde an Frauen als an Männern verübt werden. Zweitens: Ja, der gefährlichste Ort für eine Frau ist die Partnerschaft, in der sie lebt. Tötungen durch Ex-Partner machen in Österreich mehr als 80 Prozent der Frauenmorde aus.
Und drittens: Nein, nicht jeder Mord an einer Frau ist ein Femizid, es geht um das Motiv. Den Begriff prägte die Aktivistin Diana Russell 1976, um Unausgesprochenes mitklingen zu lassen: die Ungerechtigkeit, das Patriarchat, Besitzdenken. Die "Vienna Declaration on Femicide" der UNO ergänzt die Liste unter anderem um Ehrenmorde, die Abtreibung weiblicher Babys aufgrund ihres Geschlechts sowie Frauen, die an den Folgen einer Genitalverstümmelung sterben. Widler konzentriert sich in ihrem Buch ausschließlich auf die häufigste Gruppe: Frauen, getötet von Ex-Partnern. "Warum es hierzulande in den letzten Jahren zu einer Häufung von Femiziden und Femizidversuchen kam, ist nicht einfach zu beantworten. Keine: r der Expert: innen, mit denen ich für dieses Buch gesprochen habe, hatte eine klare Antwort auf diese Frage", schreibt sie. Um einer Antwort zumindest näher zu kommen, konsultierte sie Opferschutzanwälte, Frauenhäuser, Richterinnen und Psychiaterinnen. Aber auch Überlebende und Angehörige.
Frauen werden ermordet, weil sie sich von ihren Partnern trennen wollen oder sich getrennt haben. Bei einem Viertel der Beziehungen schritt bereits die Exekutive ein. Dazu das Systemische: falsche Rollenbilder, Besitzdenken, keine Impulskontrolle.
Das Buch wechselt zwischen Expertenberichten und Nacherzählungen. Viele Beispiele sind in Erinnerung geblieben: Da ist Nadine W., jene Trafikantin, die von ihrem Ex-Freund zuerst erdrosselt und dann angezündet wurde. Oder Larissa Biber, die von ihrem Partner in den Inn geschmissen wurde. Das geht nahe. Wie also solche Taten verhindern?
Auch hier gibt es viele, aber keine einzelne, eindeutige Antwort: Beamte schulen, Präventionseinrichtungen stärken, vorhandene, gute Gesetze umsetzen, die Datenlage verbessern. Längerfristig: das patriarchale System aufbrechen, strukturelle Diskriminierung wie den Gender-Pay-Gap schließen, um Abhängigkeiten zu vermeiden. Verharmlosende Berichterstattung verurteilen. "Ich habe als Journalistin immer die Möglichkeit, einen Einzelfall in eine größere kritische Hintergrundgeschichte einzubetten, ohne den Täter mehr als nötig zu Wort kommen zu lassen", schreibt Widler.
"Heimat bist du toter Töchter" ist die perfekte Argumentationsgrundlage in Diskussionen mit jenen, die meinen, es gäbe ohnehin kein Problem. Denn auf eine Frage gibt es eine klare, wenn auch traurige Antwort: Würden die Opfer noch leben, wenn sie keine Frauen wären? Ja.