

Keine Scheu vor den großen Frauen-Fragen
Sieglinde Rosenberger in FALTER 1-2/2023 vom 13.01.2023 (S. 20)
Im Sog der europaweiten Großdemonstrationen für Frieden und atomare Abrüstung engagierten sich in den 1980er-Jahren auch in Österreich Frauen für geschlechtergerechte Verhältnisse im globalen Süden. 1982 entstand die Zeitschrift Frauensolidarität, die sich seither als eine Stimme für geschlechtergerechte Entwicklung, als ein Format der wissens-und projektbasierten Intervention für globale Frauenrechte versteht.
40 Jahre später liegt mit "Global Female Future" gleichzeitig ein zeitgeschichtlicher Rückblick wie auch ein politischer Zukunftsband vor. Mehr als 40 Autorinnen, politisch Aktive von damals und Engagierte von heute, schreiben Geschichten, informieren über den Verlauf der damals initiierten Projekte, benennen politische Verschiebungen und neue Projekte.
Viele der alten Themen, wie strukturelle und physische Gewalt oder Selbstbestimmungsrechte, sind weiterhin aktuell. Deutlich geändert hat sich allerdings, wie über die Verhältnisse gesprochen wird: Der aktuelle postkoloniale und antirassistische Diskurs, die Sensibilität gegenüber weißen Privilegien bestimmen über weite Strecken die Reflexion.
Der Band umfasst sechs Schwerpunkte: Antirassismus und Postkolonialismus, Gewalt, Reproduktion, parlamentarische Politik und Klimawandel. Innerhalb dieser finden sich Beiträge zu Erinnerungsarbeit, Zwangssterilisation in Peru, Nato-Generation in Afghanistan, digitalen Klüften, patriarchalen Strukturen im grünen Wachstum, Zugang zu politischen Ämtern in Kolumbien, transnationaler Migration und globalen Pflegeketten.
Mit feministischem Wissen wird auf weltweite Zusammenhänge geblickt, bekommen internationale Entwicklungen und Projekte im globalen Süden Aufmerksamkeit und erfolgt eine Einordnung Österreichs innerhalb der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit.
Manche Beiträge frischen Klassikerinnen der feministischen Forschung auf und übersetzen deren Sichtweisen und Forderungen in die gegenwärtige Zeit. Der konsequent standpunktorientierte Zugang wird beibehalten - Berichte, Informationen, Analysen speisen sich primär aus lokalen sowie individuellen Erfahrungen, Beobachtungen und Einschätzungen.
Aktivismus und Involvierung sind die primären Annäherungsformen. Aufschlussreich und wohltuend zugleich lesen sich die vereinzelten Dialoge zwischen den Generationen, die zeigen, wie sich Altes mit Neuem verbindet, aber auch, wie sich die Jüngeren von den Älteren abgrenzen. Die Generationenfrage ist stark präsent, sie gibt Einsichten, wie mit unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungen produktiv umgegangen werden kann.
Das Buch ist eine bunte Collage aus Berichten über Projekte, politischen Statements sowie Analysen. Es ist ein Lesebuch, reich an Themen und Informationen und abwechslungsreich an Formaten wie Texten, Interviews und Prosa. Gut lesbar, populärwissenschaftlich ausgerichtet, verzichtet es vielleicht allzu oft auf Quellenangaben und kommt jedenfalls fast ohne Fußnoten aus. Diese Präsentationsform erleichtert die Zugänglichkeit, gleichzeitig aber wird so manche Neugierde in Bezug auf die Herkunft des geteilten Wissens nicht ganz befriedigt.
Insgesamt gibt der Band eine notwendige Orientierung in einer Zeit rasant sich verändernder geopolitischer Konstellationen: Die Beiträge situieren zeitlich und räumlich Wissen und Engagement, sie benennen eindrücklich aktuelle Brennpunkte, geben viele Denkansätze und informieren über angewandte Projekte, die zeigen, dass es auch anders gehen könnte und anders gehen sollte.