

Zwischen Mehlwurm und 24-Stunden-Pflege
Dominika Meindl in FALTER 12/2023 vom 24.03.2023 (S. 7)
Nach dem schlampigen Ende einer Beziehung zieht der 30-jährige Tom ins großelterliche Einfamilienhaus im Randbezirk einer nicht konkretisierten Hauptstadt.
Beim Schnitzelessen versucht er seiner Oma Rosmarie, die früher in der Fleischerei gearbeitet hat, die Vorteile des Mehlwurmverzehrs und seines neuen, „superspannenden“ Projekts zu erläutern: In einem Start-up will er Convenience-Produkte aus Insekten zur Marktreife bringen.
In der Freizeit schneidet Tom die alten Obstbäume, pflanzt Radieschen und baut ein Hühnerhaus. Doch das prekäre Idyll der generationenübergreifenden WG währt nicht lange.
Als sich Rosmarie den Oberschenkelhals bricht, tritt ihre mühsam überspielte Demenz zutage. Wegen der kräfteraubenden Suche nach einer 24-Stunden-Betreuerin bekommt Tom schnell Probleme in der Arbeit.
Die 1992 in Villach geborene Alina Lindermuth schreibt über die bizarre kognitive Dissonanz, dass wir alle so leben, bauen und wählen, als könnten wir das Thema Pflege nie am eigenen Leib erfahren. „Und warum um alles in der Welt hatte noch niemand Altenbetreuung so benutzerfreundlich gestaltet, wie es sonst bei absolut jedem Lebensbereich der Fall war?“
Es ist eine vife Idee, dass Lindermuth die Care-Arbeit einem jüngeren Mann aufbürdet, denn träfe es die Tochter der dementen Frau, wär’s trauriger Alltag, nicht der literarischen Rede wert. Die Federn im Titel deuten an, dass es am Ende immer noch die Frauen sind, die Rosmarie pflegen und das Mehlwurm-Müsli mischen.
Lindermuth, die 2020 ihr Romandebüt „Die Wahrscheinlichkeit des Zufalls“ vorgelegt hat und im Vorjahr Writer in Residence auf Sri Lanka war, verfügt über eine genaue Beobachtungsgabe. In ihrem zweiten Roman hat sie sich eines wichtigen Themas angenommen – womit weniger die Mehlwürmer gemeint sein sollen (das mag Geschmackssache sein) als die „systemrelevante“ Arbeit der Pflegerinnen aus dem Osten.
Die beiden Figuren Josipa und Kata geraten allerdings erst spät in den Fokus. Zwar beginnt jedes Kapitel mit Einträgen aus ihrem Übergabeprotokoll, aber mehr als über ihr Leben erfährt man, wie es in Toms Start-up zugeht.
Dass gehäuft BWL-Phrasen vorkommen, mag daran liegen, dass Lindermuth Gründerin eines Unternehmens für wirtschaftliches Storytelling ist. Dafür könnte man sich nach ihrer Anleitung im Roman gleichsam selbst mit fremden Federn schmücken und gleich ein Mehlwurmmehl-Unternehmen gründen.