
Riechen ist Bodybuilding fürs Gehirn
Juliane Fischer in FALTER 47/2019 vom 20.11.2019 (S. 32)
Die Apfelblüte, aber auch die Spritzmittel, die in den Plantagen des Südtiroler Intensivobstbaus versprüht wurden, prägten die „Riechheimat“ von Johannes Frasnelli. Der 1974 geborene Mediziner und Neurowissenschaftler wuchs in Meran auf und ging zum Studium nach Wien. Hier fand er zu seinem Forschungsthema.
Im wohlstrukturierten, kurzweiligen und praxisnahen Buch „Wir riechen besser, als wir denken“ erklärt er, warum der Geruchssinn so wenig erforscht ist und allgemein unterschätzt wird. Es führt vom „Proust-Effekt“ der olfaktorischen Kindheitserinnerungen über die Körpergeruchsdatenbank der Stasi bis zur Großhirnrinde des Sommeliers, die sich durch das Geruchstraining verändert. Riechen ist sozusagen Bodybuilding fürs Gehirn. Frasnelli vergleicht die Nase mit dem Stephansdom, friert Babypyjamas ein und erträgt als Partygag den bestialischen Gestank der schwedischen Spezialität Surströmming (vergorener Hering). Riechen und Schmecken, Pheromone, die Geruchsorgane der Tiere, die Stereoanlage der Nase, der Verlust des Geruchssinns und die Krankheitsdiagnose sind seine Themen.
Weshalb löst Ammoniak Hustenreiz aus? Weshalb wirkt Zimt erwärmend und Pfefferminze erfrischend? Was macht ein Duftstoff namens Bibergeil im Herrenparfum? Und was verbindet die Rockband The Doors mit dem Thalamus im Zwischenhirn? Diese Fragen beantwortet Frasnelli in der Tradition des britischen Neurologen Oliver Sacks, der hohen Schule der Wissenschaftsvermittlung, anhand von Geschichten und persönlichen Erfahrungen. Das bietet sich an, da Riechen mit dem limbischen System und deswegen stark mit Emotionen und Erinnerungen und Lernen verknüpft ist. Der Bestseller „Das Parfum“ von Patrick Süskind aus dem Jahr 1985 demonstriert für Frasnelli, wie viel Platz für Fantasie die Beschreibung von Duft lässt, der in der Verfilmung von Tom Tykwer aus dem Jahr 2006 natürlich eine Leerstelle bleiben musste.
Am Ende der zwölf Kapitel regt Frasnelli jeweils zu einem Selbstversuch an. Eine ideale Lektüre für Neugierdsnasen!


