

Eine Anzeige im Guardian rettete ihm das Leben
Juliane Fischer in FALTER 5/2025 vom 29.01.2025 (S. 28)
In der Eingangshalle erinnert eine Skulptur der Bildhauerin Flor Kent daran: Mit einem Abschied am Westbahnhof waren 1938 für tausende Kinder mit einem Mal Kindheit und Jugend vorbei. Julian Borgers Vater Robert war einer von ihnen. "Suche liebevollen Menschen, der meinen intelligenten Buben unterrichtet. Elf Jahre alt, Wiener, aus guter Familie" formulierten seine Eltern, die in der Landstraßer Hauptstraße 103 ein Radiogeschäft besaßen, in einer Annonce. Sie stand am 3. August 1938 zwischen Radioprogramm und Kreuzworträtsel -just im Vorläufer des britischen Guardian, wo Julian Borger heute als Auslandsressortchef arbeitet.
Für die Recherchen zu den Files über den US-Whistleblower Edward Snowden bekamen er und sein Team den Pulitzer-Preis. Auch dieses Buch samt Nachforschungen, wie sein Vater und andere jüdische Kinder nach dem "Anschluss" dank Zeitungsanzeigen gerettet wurden, ist gelungen.
Borger durchkämmte dafür Ahnenforschungsplattformen, Passagierlisten, Unterlagen aus Synagogen, Akten der Heilanstalt Steinhof. Die dreizeiligen Hilferufe führten in ein Ghetto in Shanghai, nach Singapur, in die USA und zu einem Spion in Frankreich.
Borgers Vater Robert wurde von einem liebevollen walisischen Paar aufgenommen. Die Bingleys waren extra nach London gefahren "und hatten sich für sein Visum auf den Stufen des Innenministeriums häuslich eingerichtet".
Zuhause mussten sie die Pfeife vom Teekessel nehmen, weil diese Bobby Borger an das Trillerpfeiferl der SS erinnerte. Alle Bemühungen konnten nicht verhindern, dass Bobby Borger sich 1983 als Mittfünfziger das Leben nahm. Nancy Bingley sah ihren Ziehsohn danach als "das letzte Opfer der Nazis".
Das Buch macht Traumata sichtbar und streut einordnende Zahlen und historische Fakten ein. Vor allem die Schilderungen kleiner und großer Gesten der Menschlichkeit hinterlassen einen bleibenden Eindruck.