

"Meine Bücher sind Warnungen"
Sebastian Fasthuber in FALTER 13/2022 vom 01.04.2022 (S. 34)
Schnell, böse und rabenschwarz: Mit seinen Romanen steht Sasha Filipenko, 37, der lange Zeit in St. Petersburg gelebt hat, für das moderne, junge Russland. Der Schriftsteller, Journalist und Satiriker stammt aus Belarus und lebt derzeit in der Schweiz, von wo aus er die Protestbewegung gegen das Regime des Diktators Alexander Lukaschenko in seiner Heimat unterstützt. Europas Reaktion auf Putins Krieg gegen die Ukraine empfindet er als Eiertanz. Das Gespräch fand via Zoom statt. Filipenkos österreichische Übersetzerin Ruth Altenhofer fungierte als Dolmetsch.
Falter: Herr Filipenko, in Ihrem Roman "Die Jagd" wird ein kritischer Journalist mittels Psychoterror in den Wahnsinn getrieben, weil er sich weigert, ins Exil zu gehen. Wie war das bei Ihnen?
Sasha Filipenko: Mir wurde das auch nahegelegt und im Gegensatz zu dem Journalisten im Buch bin ich freiwillig gegangen. Wäre ich geblieben, würde ich jetzt im Gefängnis sitzen und könnte meinen Beruf nicht weiter ausüben. Mit meinem Roman wollte ich zeigen, dass es ganz unterschiedliche Methoden gibt, Journalisten fertigzumachen. Die Öffentlichkeit wird oft erst darauf aufmerksam, wenn jemand umgebracht wird. Aber dem geht meist eine sehr lange Geschichte voraus.
Das Buch ist gerade auf Deutsch erschienen, das Original stammt aus dem Jahr 2016. Was Sie damals als Dystopie konstruiert haben, wurde inzwischen von der Realität eingeholt.
Filipenko: Für mich ist es ein Text darüber, wie in Russland die Grenze zwischen Dystopie und Realität immer mehr verschwimmt. In einer Szene wird ein Mann wegen eines leeren Postings auf Social Media strafrechtlich verfolgt und verurteilt. Vor ein paar Jahren haben die Leute noch darüber gelacht. Heutzutage werden in Russland Menschen für leere Plakate festgenommen.
Minsk haben Sie bereits 2003 im Alter von 19 Jahren verlassen. Warum?
Filipenko: Vielleicht war das eine etwas jugendlich-hysterische Reaktion. Damals ließ Lukaschenko die Uni schließen, an der ich studiert habe. Ich wollte nicht in einem Land leben, das mir mein Recht auf Bildung abspricht. Im Gespräch mit Landsleuten ist mir leider aufgefallen, dass die Mehrheit mit der Diktatur einverstanden war. Mir war klar, so schnell wird es nicht besser werden. Russland war zu der Zeit deutlich demokratischer als mein Land eingestellt. Darum bin ich nach St. Petersburg gegangen, um zu studieren. Doch seit den verstärkten Repressionen, die nach den gefälschten Wahlen im August 2020 begannen, kann ich weder nach Russland noch nach Belarus zurück.
Haben Sie die Hoffnung, in absehbarer Zukunft wieder in Belarus zu leben?
Filipenko: Nein, nicht in absehbarer Zukunft. Aber ich bin mir ganz sicher, dass ich eines Tages zurückkehren werde. Das ist der Sinn meines Lebens. Aber wie hunderttausenden anderen Belarussen auch ist es mir nicht möglich, solange die Regime in Russland und Belarus aufrecht sind. Ich gelte als Volksfeind. Wegen meiner Bücher werden Strafverfahren gegen mich angestrengt. Die Staatspropaganda ruft dazu auf, mich hinter Gitter zu bringen. Man überlegt auch, mir die Staatsbürgerschaft abzuerkennen.
Sie mussten in den letzten zwei Jahren häufig den Wohnort wechseln. Was ist das für ein Leben?
Filipenko: Für mich und meine Familie ist es sehr anstrengend, man lebt im Exil in ständiger Ungewissheit. Wir waren in Stuttgart, Amsterdam und Basel. Auf der einen Seite will Europa helfen, auf der anderen passt das Hilfsangebot nicht immer zum Bedarf.
Wie äußert sich das konkret?
Filipenko: In Deutschland habe ich ein Visum bekommen, aber meine Frau und mein Sohn nicht. Die Niederlande wiederum gaben meiner Frau ein Visum für 90 Tage, meinem Sohn nur für 30. Man fragt sich, was soll er als Zehnjähriger allein 60 Tage machen? Momentan warte ich seit zwei Monaten auf eine Verlängerung meines Visums in der Schweiz. Meine Bücher werden in etliche Sprachen übersetzt, ich kann jedoch vielen Einladungen nicht nachkommen.
Sie haben einmal gesagt, Belarus ist eine Probebühne für Russland.
Filipenko: Das bestätigt sich gerade. Gestern war ich im Schweizer Fernsehen. Vor einem Jahr habe ich dort in einem Interview gesagt, dass Lukaschenko und Putin im Grunde dieselben Diktatoren sind. Der Journalist hat mich korrigiert, Putin wäre doch viel demokratischer und liberaler. Leider habe ich recht behalten. Lukaschenko und Putin kommen mir vor wie zwei wilde Hunde, die um die Wette laufen. Ich dachte früher einmal, einen schlimmeren Diktator als den in meinem Land kann es nicht geben. Dann überholte ihn Putin.
Sind Sie nicht überrascht davon, wie Putin handelt?
Filipenko: Nein. Zu der Frage, was in ihm vorgeht, habe ich für den inzwischen gesperrten TV-Sender Doschd schon vor Jahren einmal eine Satire entworfen. Ihre Aussage: In Putin wohnen zwei Dämonen und ein Engel. Immer wenn eine Entscheidung ansteht, stimmen sie ab. Es ist natürlich klar, was dabei herauskommt.
Welche Pläne verfolgt er?
Filipenko: Ich glaube, Putin will wieder eine Art Sowjetunion. Anstatt sich zu überlegen, wie er mit der Ukraine ein Bündnis schließen könnte, ist er jedoch gerade im Zerstörungsmodus. Er macht das Land und die Leute kaputt. Derzeit geht es ihm nur darum, die Ukraine zu bestrafen und zu ruinieren. Ihr zu beweisen, dass es sie nicht gibt und nicht geben darf.
Sie haben einmal gesagt: "Putin und Lukaschenko reden über ihr Land, wie sie über eine Frau oder eine Geliebte reden. Sie checken aber nicht, dass die Frau sie schon seit langem verlassen will." Wie könnte diese Trennung vonstattengehen?
Filipenko: Eine normale Trennung ist nicht möglich. Das Volk kann sich keinen Anwalt nehmen und vor Gericht ziehen oder einfach davonrennen. Es kann im Grunde nur warten, bis der Diktator stirbt. Oder es kommt die Polizei, weil sie sieht, dass dieser Mann seine Frau prügelt. Aber das erscheint mir unwahrscheinlich. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Ukraine den Krieg gewinnt. Dann müsste Putin abdanken.
Wenn Putin Geschichte ist, fällt auch das Regime Lukaschenko?
Filipenko: Hundertprozentig. Nach ein paar Tagen wäre er weg. Die Belarussen sind 2020 nicht nur gegen Lukaschenko aufgestanden, sondern auch gegen Putin. Unser Diktator lebt nur von Putins Ressourcen. Sein ganzes Militär, seine Sonderpolizei, das wird alles von Russland finanziert.
Wie steht es aktuell um die Widerstandsbewegung in Belarus?
Filipenko: Die Protestbewegung ist nicht verstummt. Aber sie hat es sehr schwer, weil sie gegen zwei diktatorische Regime gleichzeitig kämpft. Als 2020 die Proteste begannen, haben wir die Ukraine um Unterstützung gebeten. Sie hat uns leider nicht unterstützt. Selenskyj wollte damals keine Konfrontation mit Lukaschenko und hat den Handel mit ihm fortgesetzt.
Wie verhält sich der Westen aus Ihrer Sicht gerade?
Filipenko: Ich sehe das nicht getrennt. Belarus ist für mich ein Teil des Westens, von Europa. Momentan sieht Europa sich online an, wie die Ukraine zerstört wird. Die Nato ist nicht bereit, Waffen zu liefern oder den Luftraum zu schließen. Einzelne Länder liefern aber schon Waffen. Mir kommt vor, man will etwas tun, aber bitte so, dass Putin nicht wütend darauf reagiert. Es ist freilich eine Illusion zu glauben, wir könnten uns richtig verhalten, damit er nicht noch weiter geht. Das wird ihn nicht stoppen.
Europa enttäuscht Sie also?
Filipenko: Wenn Europa die Ukraine nicht unterstützen will, respektiere ich das. Aber ich sehe auch nicht ein, warum dann das Brandenburger Tor in den ukrainischen Farben beleuchtet wird. Davon hat die Ukraine nichts. Solidarität ist schön und gut, wenn darauf konkrete Dinge folgen.
Sie waren früher als Gag-Autor tätig und in Ihrem Roman steckt eine gute Dosis schwarzer Humor. Wie wichtig ist Humor?
Filipenko: Er schützt wie eine kugelsichere Weste. Humor hilft einem, nicht verrückt zu werden. Depressionen habe ich sowieso. Durch meinen Humor kann ich trotzdem irgendwie weitermachen. Würde ich aufhören zu lachen und Scherze zu machen, wäre es ganz vorbei. Es sagt auch etwas über die innere Freiheit eines Menschen aus, ob er fähig ist, über sich selbst zu lachen. Meine Freunde und ich scherzen ganz viel übereinander. So bringen wir uns gegenseitig weiter. Diktatoren können das nicht. Putin lässt nur eine Art von Humor zu: Scherze, durch die er erhöht wird und noch viel großartiger erscheint.
Gibt es in Belarus noch Satire?
Filipenko: Nein, alle unabhängigen Medien wurden abgedreht. Humorvolle Kritik ist in Belarus nicht mehr möglich. Es gibt nur noch den Sender Belsat TV, der jetzt in Polen seinen Sitz hat. Kürzlich hat ein prominenter Satiriker einmal etwas auf Twitter geschrieben. Er wurde daraufhin festgenommen. Ihm gelang gerade noch die Flucht.
Sie haben vor der Literatur Musik studiert und Ihren Roman nach musikalischen Prinzipien gebaut. Finden Sie in der Musik Trost?
Filipenko: Sie spielt in meinem Leben eine sehr wichtige Rolle. Mein erster Lesestoff waren Bach, Rachmaninow und Ravel. Die Musik hat mich immer gerettet. Kürzlich hatte ich meine Kopfhörer in der Hand, da ist mir aufgefallen, ich habe schon einen Monat lang keine Musik gehört. Alles ist so schrecklich, dass nicht einmal sie mehr hilft. Ich kann auch nichts lesen. Schreiben und Interviews geben, das geht noch.
Die Erich Fried Tage beschäftigen sich heuer mit der Frage, inwieweit Literatur eine Gesellschaft verändern kann. Was sagen Sie?
Filipenko: Ich glaube, sie kann nur eine Gesellschaft verändern, die dazu bereit ist. Nehmen wir Alexander Solschenizyns "Archipel Gulag". Der Roman ist in der Sowjetunion in Auflagenzahlen von zehn Millionen Stück erschienen. Wenn so viele Leute dieses Buch gelesen haben, kann Russland eigentlich nicht da landen, wo es jetzt ist. Auf der anderen Seite hat sich Putin einmal lang mit Solschenizyn unterhalten. Vielleicht ist das, was Putin mit der Ukraine macht, seine Interpretation von Solschenizyns großrussischen Ideen? Literatur kann auf Einzelne großen Einfluss haben, nicht aber auf die Massen.
Was ist Ihr literarisches Credo?
Filipenko: Meine Bücher sind Warnungen. Ich werde oft gefragt, wozu ich Romane über Krieg und Politik schreibe. Das seien vergängliche Themen für Journalisten. In den Büchern sollte man die ewigen Dinge behandeln, zum Beispiel die Liebe. Nun ja, Liebe kann auch in drei Jahren verpufft sein. Themen wie Freiheit sind meines Erachtens viel dauerhafter. Literatur wird in Russland und Belarus eher therapeutisch verwendet. Man liest Bücher und findet darin Ruhe oder gewisse Resonanzen. Aber man liest sie nicht als Warnung.
Vielen Dank für das Gespräch.
Filipenko: Ich danke auch. Soll ich Ihnen noch einen Witz erzählen?
Gerne.
Filipenko: Leider ist er wahr. Es ist unklar, ob mein nächster Roman in Russland überhaupt erscheinen wird. Gar nicht aus Zensurgründen, sondern weil Papiermangel herrscht. Noch einer: Das Buch wurde schon für einen Literaturpreis vorgeschlagen. Vor dem Krieg war es gut im Rennen, jetzt sagt die Jury, ich wäre ein Verräter. Es ist eine richtige Komödie.