

Anklage eines Ersatzprinzen
Tessa Szyszkowitz in FALTER 4/2023 vom 25.01.2023 (S. 21)
An sich sollte es ein Freudentag sein, als Prinz Harrys Frau Meghan in einem Krankenhaus in London einen Sohn gebar. Die britische Presse überschlug sich vor Aufregung über die Geburt des neuen Prinzen. Auf Twitter machte allerdings schnell unter dem Titel "Royales Baby verlässt Spital" ein Foto die Runde. Es zeigte einen Mann und eine Frau, dazwischen einen Schimpansen.
Auf Seite 365 in Prinz Harrys Anklageschrift "Reserve" ist endgültig klar, warum der jüngere Sohn von König Charles III. es nicht mehr in seiner Rolle als Ersatzprinz aushielt: Die britischen Medien berichteten über ihn und seine amerikanische Frau, die eine schwarze Mutter hat, schamlos rassistisch. Und unfair. Und verlogen. Harry präsentiert zahllose Beispiele dafür.
Der Journalist, der das "Familienfoto" getweetet hatte, wurde zwar sofort entlassen. Doch sonst passierte nichts. Harry sprach noch einmal mit seiner Großmutter Königin Elisabeth II. "Granny sah schockiert aus. Sie sagte: 'Entsetzlich.' Sie werde einen ihrer Höflinge zu mir schicken." Dieser kam, hörte Harry und Meghan ausführlich zu und sagte: "Disproportional zu allem, was ich jemals erlebt habe." Er versprach einen Aktionsplan.
Harry hörte nie wieder von ihm. Harry und Meghan zogen sich immer weiter zurück. Es dauerte nicht mehr lange, bis sie 2020 nach Amerika übersiedelten. Von dort aus organisieren sie eine beispiellose Medienkampagne, um ihre Sicht der Dinge darzulegen.
Pikanterweise richtet sich diese nicht nur gegen die britische Boulevardpresse. Harry klagt auch "den Palast" an, also die Presseabteilung des Königshauses. Und Teile seiner eigenen Familie. Der Höhepunkt nach einer Netflix-Dokuserie und mehreren Fernsehinterviews -ist Harrys Buch "Reserve". Schon am ersten Tag des Erscheinens wurde "Spare" - so das englische Original -400.000 Mal verkauft. Dank des exzellenten Ghostwriters J. R. Moeringer, der bereits die Memoiren von Andre Agassi "Open" verantwortete, liest sich Harrys Anklage flüssig und süffig.
Harry behauptet, dass sowohl sein Vater Charles und dessen zweite Frau Camilla als auch sein älterer Bruder ihn und Meghan nicht vor der Boulevard-Meute geschützt hätten. Mehr noch: Sie hätten unwahre und negative Geschichten nicht richtigstellen wollen, um sich nicht selbst zu schaden.
"Selbst wenn ich akzeptierte, dass Pa und Willy und ihre Angestellten nie etwas direkt gegen mich oder meine Frau unternommen hatten", schreibt Harry, "ihr Schweigen war unbestreitbar." Sein Vater sagte zu ihm: "Du musst verstehen, Darling Boy, die Institution kann den Medien nicht einfach sagen, was sie tun sollen!"
Es ist nicht anzunehmen, dass Prinz Harry den Kampf um die Wahrheit gegen Königshaus und britische Medien gewinnt. Sein Versuch, die giftige Beziehung zwischen Royals und Yellow Press aufzubrechen, erinnert an seine Mutter Diana. Sein Buch bebt vor Trauer über ihren frühen Tod. "Reserve" ist eigentlich die Geschichte eines traumatisierten Sohnes, der ihre Arbeit fortsetzen will. In wohltätigen Vereinen und im Kampf gegen die Medien. Dianas wie Harrys Klagen prallten immer an den Palastmauern ab.
Vielleicht liegt das auch daran, dass alle Seiten so am meisten profitieren: Die Royals lächeln und schweigen, die Medien erfinden Geschichten. Denn die Wahrheit ist, dass die Royals auch nur normale Menschen sind. Damit könnte man 2023 vielleicht keinen Staat, keine konstitutionelle Monarchie mehr machen.