

Dialog mit meinem Mörder
Florian Klenk in FALTER 27/2024 vom 05.07.2024 (S. 27)
Ein Buch über ein islamistisches Attentat als Strand- und Gänsehäufellektüre? Ja, das geht. Salman Rushdies „Knife – Gedanken nach einem Mordversuch“, geschrieben 33 Jahre nach der Fatwa von Ayatollah Khomeini, bietet nicht nur Einblick in den Überlebenskampf des britischen Autors, der von einem als „A.“ für Arschloch betitelten Attentäter am 12. August 2022 in Gesicht, Hals und Hände gestochen wurde. „Knife“ ist auch eine poetische Liebeserklärung an die Freiheit des Wortes und der Literatur, aber auch an Rushdies Frau Eliza, mit der Rushdie eigentlich einen ruhigen Lebensabend verbringen wollte. Berührend und atemberaubend wird die Abrechnung mit seinem Mörder dort, wo er ihn in ein imaginäres und sehr intimes Gespräch über Religion, Aufklärung und den Koran verwickelt: „Entscheidend ist, dass unsere Unterhaltung in meinem Kopf stattfindet (...). Sie müssen nicht einmal nachdenken, was Sie sagen sollen. Ich lege Ihnen Worte in den Mund.“ Ein Sieg der Kunst über den religiösen Wahn.
Salman Rushdie: Das Arschloch, das Messer und die Liebe
in FALTER 16/2024 vom 19.04.2024 (S. 29)
Im Jahr 1989 wurde Salman Rushdie für seine "Satanischen Verse" mit der Fatwa belegt. Es folgten Zeiten, in denen er sich nur mit Bodyguards und Schutz des britischen Geheimdiensts aus dem Haus wagen konnte. Als die Bedrohung, Opfer eines Attentats zu werden, nachließ, übersiedelte er nach New York und begann ein neues, freies Leben.
Im August 2022 attackierte bei einer Veranstaltung in Chautauqua, New York ein junger, libanesischstämmiger Amerikaner, der sich im Internet radikalisiert hatte, Rushdie mit einem Messer. Er stach unzählige Male auf ihn ein. Der Autor überlebte nur knapp, ist auf einem Auge erblindet und erlitt bleibende Schäden an einer Hand.
Den Humor hat Rushdie indes nicht verloren. In seinem neuen Werk gibt er Auskunft über sich: "Ich bin ein schräger Vogel, für die Missgeschicke in meinem Leben berühmter als für meine Bücher."
Nun legt der in Indien geborene britisch-amerikanische Autor ein Memoir zu dem Mordversuch und der Zeit danach vor. Stets an seiner Seite: seine fünfte Ehefrau, die Lyrikerin Rachel Eliza Griffiths. Die Aufarbeitung des Attentats gerät zur Lovestory. Auf Hass reagiert Rushdie mit Liebe.
Interessant ist, wie er das Ereignis verarbeitet. Zunächst bezeichnet er den Täter -wie ein Wiener den Amokläufer von 2020 -als "Arschloch". Später imaginiert er eine Begegnung mit ihm und wie das Gespräch verlaufen könnte (bizarr!). Je besser es ihm geht und je mehr Zeit verstreicht, umso gleichgültiger wird ihm der Mann mit dem Messer.
Sollte er im Prozess aussagen müssen, hat sich Rushdie folgende Ansprache zurechtgelegt: "Sie interessieren mich nicht, und auch die Ideologie interessiert mich nicht, die Sie zu repräsentieren behaupten und so erbärmlich repräsentieren. Ich habe mein Leben, meine Arbeit, und es gibt Menschen, die mich lieben."
In "Knife" pariert Salman Rushdie den Messerangriff nachträglich mit Worten - und triumphiert.