

Hexen: „Die perfekte Feindin“
Donja Noormofidi in FALTER 12/2024 vom 20.03.2024 (S. 34)
Als Heinrich Kramer im August 1485 in Innsbruck ankam, hatte er eine Mission: Bereits in Ravensburg hatte sich der Inquisitor einen Namen als Hexenjäger gemacht, nun wollte er einen Schauprozess führen. In Ravensburg hatte er Anna von Mindelheim und Agnes Baderin als Hexen angeklagt. Heinrich ging davon aus, „dass weibliche Hexen Männer hassten und sie kastrieren wollten. Es war eine lächerliche Hypothese, die nur in einer männerdominierten Gesellschaft entstehen konnte, doch so bizarr Heinrichs besondere Form des Dämonenglaubens auch war – Anna und Agnes wurden ihretwegen bei lebendigem Leib verbrannt.“ In Innsbruck war bald ein neues Opfer auserkoren: Helena Scheuberin, religiös gebildet, wohlhabend und selbstbewusst. Sie hatte Krammer einen „schnöden Mönch“ genannt und gehofft, dass ihn „das fallend Übel ereile“. Dazu kamen noch Anschuldigungen wegen Promiskuität und Zauberei – fertig war die Anklage wegen Hexerei.
„Was ist eine Hexe?“, fragt Marion Gibson in ihrem Buch „Hexen. Eine Weltgeschichte in 13 Prozessen“. Wenn jemand diese Frage beantworten kann, dann ist es Gibson, Professorin für Renaissance und magische Literaturen an der Universität von Exeter (UK). Immerhin hat sie bereits neun Bücher über Hexen geschrieben, ihr neues ist nun auf Deutsch erschienen. Sie zeigt darin anhand konkreter Prozesse, wie Frauenfeindlichkeit, Aberglaube und Machtmissbrauch zur Verfolgung, Folterung und Ermordung vermeintlicher Hexen führten. Und wie heute immer noch Hexen angeklagt werden.
Ihre Erzählungen reichen von den Anfängen in Innsbruck über den bekannten Hexenprozess in Salem, der den Auftakt zu einer Reihe von Verhaftungen in Neuengland bildete, bis zu weniger bekannten Prozessen wie jenen der Hexen in Vardø, am nördlichen Rand Skandinaviens. Gibson zeigt zudem, dass Hexenverfolgungen auch in der Gegenwart noch stattfinden: Im südlichen Afrika werden Frauen und Kinder in Hexenlager gesteckt. Hunderte werden jedes Jahr in Indonesien und Südamerika, in Teilen Indiens und Afrikas sowie im Nahen Osten in formellen oder informellen Hexenprozessen getötet. Und jener Mann, der kürzlich in Wien mutmaßlich drei Sexarbeiterinnen ermordet haben soll, erklärte, er sei von einer Flüchtlingshelferin verhext worden, später habe ihm Gott selbst das Massaker aufgetragen, um sündhafte Sexualität und Pornografie zu bekämpfen.
Gibsons Ziel ist es, die Prozesse aus der Perspektive der großteils weiblichen Opfer zu erzählen, sie beim Namen zu nennen. Die Innsbruckerin Helena Scheuberin ist nur eine von ihnen und sie ist die Ausnahme: Weil sie über Geld und Bildung verfügte, stellte sie mit Hilfe eines Anwalts Kramers Methoden infrage und konnte sich und die anderen Angeklagten retten.
Doch Kramer war nicht zu stoppen: Er verfasste den berüchtigten „Hexenhammer“. Machwerke wie dieses trugen die Dämonologie in die Welt hinaus. Zu dieser Zeit waren Hexen „die Verkörperung von allem Bösen, sie waren die perfekte Feindin“. Die Zahl der Hexenprozesse explodierte.
Und so wurde auch Geillis Duncan und Agnes „Anny“ Sampson um 1590 der Prozess gemacht. Sie waren als Heilerinnen bekannt, als das Gerücht die Runde machte, sie seien Hexen und hätten Stürme auf See heraufbeschworen, um die Heirat des schottischen Königs zu vereiteln. Während der Folter „wurde ,ihr Kopf mit einem Seil verformt‘. Es wurde um ihre Schläfen gewickelt und unter höllischen Schmerzen immer fester verdrillt. Anny war eine starke Frau. Sie hielt eine Stunde aus, ohne zu gestehen, doch als schließlich auch ihre Genitalien untersucht wurden und man angeblich ein Teufelsmal fand, brach ihr Widerstand in sich zusammen.“ Anny wurde erwürgt und auf den Scheiterhaufen geworfen.
Was eine Hexe ist, wird im Verlauf des Buches immer klarer: Sie ist meist weiblich, oft arm, steht am Rande der Gesellschaft oder ist sonst irgendwie zu auffällig.
Umso befremdlicher schien es, als Donald Trump sich als Opfer einer Hexenjagd bezeichnete. Als weißer, mächtiger, wohlhabender Mann entspreche man nicht dem Profil der Hexe, so die Autorin. Auch seine Gegnerin vor Gericht, Pornodarstellerin Stormy Daniels, sprach von Hexenjagd und bezeichnete sich selbst stolz als Hexe: weibliche Macht, ungezügelte Sexualität, politisch subversive Ansichten – laut Gibson sind die Ängste der mittelalterlichen Geistlichen eben zu Freiheiten geworden, die viele Menschen schätzen. Für Daniels ist ihre Arbeit als Hexe in Form von Tarot-Lesungen zudem ein „boomendes Geschäft“.
Gibson mahnt zum Schluss zur Wachsamkeit, wenn Menschen dämonisiert und verachtet werden: „Denken Sie darüber nach, ob diese Person jemand sein könnte, der wie eine ,Hexe‘ zu Unrecht bezichtigt wird.“