

Im Spinnennetz des Doktor Maar
Klaus Nüchtern in FALTER 39/2012 vom 28.09.2012 (S. 34)
Wenn der Literaturkritiker und Motivmeisterdetektiv Michael Maar mit 51 ein erstes fiktionales Buch veröffentlicht, das den Titel eines seiner literarischen Hausgötter und Studienobjekte (Proust, Nabokov, J.K. Rowling und eben Thomas Mann) leicht abgewandelt übernimmt, darf man davon ausgehen, dass an Akrobatik auf der Metaebene kein Mangel herrschen wird.
Der im Literaturbetriebsmilieu angesiedelte Roman "Die Betrogenen" kreist anfangs um den noch immer charismatischen, aber in gleich mehrfacher Hinsicht nachlassenden Schriftsteller Arthur Bittner und dessen jüngeren Adoranten und präsumptiven Biografen Karl Lorentz. Anders als in Daniel Kehlmanns "Ich und Kaminski" ist diese Konstellation aber weniger von satirisch überhöhter Asymmetrie gekennzeichnet als vielmehr von einer schwer zu durchschauenden Gemengelage an Interessen und Erwartungen: Ständig scheinen sich all die Kritiker und Autoren, Agenten und Lektoren, Galeristinnen und Professoren, die diesen ausgesprochen schmalen Roman bevölkern, zu belauern. Üppig wuchert die Hermeneutik des Verdachts, und nicht grundlos hat Lorentz soeben eine Kulturgeschichte des Verrats mit dem Titel "Brutus & Co" veröffentlicht.
Maar hat sichtlich Spaß daran, eine Unzahl an Anspielungen zwischen die Kett- und Schussfäden seiner Prosa zu weben (allein die aufgeführten Tierarten und Musikstücke stellen hinreichend Material für mehrere Seminararbeiten bereit), in der ein Handlungsstrang in konventionellem Sinne kaum noch auszumachen ist.
Der Reiz der Lektüre dieses mit der Manier des Exquisiten kokettierenden Kabinettstückes, in dem selbst Essensgutscheine zu "lindgrünen Verzehrbons" werden, besteht nicht im narrativen Sog, sondern darin, sich nicht in den Fäden zu verheddern, die der Autor auslegt, oder in die Falle zu tappen, in die prompt der Protagonist fällt. Weil Maar aber nicht Agatha Christie ist, muss man schon aufpassen, denn das klärende Resümee des Meisterdetektivs oder der gerissenen Amateurdetektivin bleibt aus. Dafür wird zum Schluss auch noch F.K. Waechter herbeizitiert: Über der Trauergemeinde kreiste ein Bussard.