

Mit steinerner Miene und gerunzelter Stirn
Matthias Dusini in FALTER 19/2013 vom 10.05.2013 (S. 30)
Erst das Gesicht verwandelt den Körper in ein Bild", schreibt der Kunsthistoriker Hans Belting und benennt damit die Bedeutung der Mimik, die das Antlitz zu mehr macht als einem Körperteil.
Der Mensch hat nicht nur ein Gesicht, sondern macht auch eines. Er zeigt seine Gedanken und Gefühle, und er vermag sie zu verbergen. So entsteht ein Wechselspiel zwischen Gesicht und Maske, das erst im Zuge der Aufklärung eine moralische Bewertung erfuhr: Das Gesicht gilt als wahres Bild des Ich, die Maske als Fälschung.
Belting hat beim Schreiben seiner Geschichte des Gesichts die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Fachgebieten bewusst ignoriert. So widmet sich eines der zentralen Kapitel zwar dem Porträt und damit einem typischen Thema der Kunstgeschichte; allerdings werden auch ethnografische und religionsgeschichtliche Ausflüge unternommen, um die "Maske der Neuzeit" zu beschreiben. Und Belting arbeitet die Kritik an der Verstellung ein, die an die Idee des Subjekts geknüpft ist. "Man wagt nicht mehr so zu erscheinen, wie man ist", schrieb der Philosoph Jean-Jacques Rousseau. Die heutige Gender-Theorie hätte dagegen wohl die Maske rehabilitiert – als kulturell codiertes Spiel mit Identitäten.
Belting spannt einen weiten Bogen von der Antike bis in die Gegenwart. Er folgt den Spuren des altägyptischen Totenkults und befasst sich mit dem griechischen und römischen Theater. Er analysiert die rituelle Funktion von Masken in Stammesgesellschaften, die in Völkerkundemuseen zu Zeugnissen des Aberglaubens abgewertet wurden. Erst die Surrealisten erkannten die Modernität dieser Kunst und entwickelten daraus ein neues Verständnis von Skulptur.
Das Buch geht davon aus, dass das Gesicht eine verlorene Sache sei: Wenn sich heute Wissenschaftler mit dem Subjekt beschäftigen, dann blicken sie in das Gehirn, nicht ins Gesicht. Umso überzeugender vermag Belting nachzuweisen, welche Bedeutung dem Gesicht zukommt. In der Anonymität der "facialen Gesellschaft" wächst die Sehnsucht nach Ikonen wie Marilyn Monroe und dem eigenen Spiegelbild auf Facebook.