

Der Meister und sein gealterter Jüngling von Sylt
Ulrich Rüdenauer in FALTER 38/2013 vom 20.09.2013 (S. 34)
Während eines Sylt-Urlaubes im Jahr 1927 lernt Thomas Mann den jungen Klaus Heuser kennen. Es sind Ferienwochen, die ihn sehr mitnehmen – "an diesem erschütternden Meere habe ich tief gelebt", schreibt er ins Gästebuch des Hotels. Der 17-jährige Heuser kommt anschließend sogar auf Besuch nach München, der Dichter sucht die Nähe des verlockenden Jünglings. Der blonde Klaus wächst Thomas Mann nicht nur ans Herz, sondern bohrt sich mit Widerhaken tief in dieses hinein.
Die Mann'schen Tagebuchnotizen sowie der Nachlass von Klaus Heuser bilden das literaturhistorische Grundgerüst für den neuen Roman des Münchener Autors Hans Pleschinski. Grob hält er sich in "Königsallee" an die Fakten: Thomas Mann reist im August des Jahres 1954 nach Düsseldorf, um aus seinem "Felix Krull" zu lesen. Die Pointe dieser Fantasie: Die Reise droht vor allem eine Reise in die erotische Vergangenheit zu werden. Bei Pleschinski steigt nämlich auch Klaus Heuser im Breidenbacher Hof ab, zusammen mit seinem aus Indonesien mitgebrachten Lebensgefährten Anwar und nicht ahnend, dass sein weltbekannter Verehrer nur wenige Etagen unter ihm logiert.
Was nun folgt, ist geradezu karnevalesk, ein Aufzug literarischer Geister, alle hübsch in bunte Sprachkostüme gepackt. Am Ende strebt in dieser Düsseldorfer Farce alles einem großen Showdown entgegen: Kommt es zum Wiedersehen zwischen dem nicht mehr so jungen Jüngling und dem Meister, und wie wird Thomas Mann den Erinnerungsschock verkraften?
Pleschinskis Literatenparade ist amüsant, pastichehaft, wissensgesättigt; die Sprache muffelt ein wenig nach den 1950er-Jahren. Der staccatohafte, immer ein wenig spöttische Ton erzeugt Zeitkolorit; die Ironie entsteht durch Verknappung. So wie seinerzeit Thomas Mann mit "Lotte in Weimar" Johann Wolfgang von Goethe zur Romangestalt gemacht hat, verfährt Pleschinski nun mit Thomas Mann. Ob er allerdings mit seiner parodistisch-leichten "Königsallee" die Tragik der Mann'schen Liebessehnsucht und Entsagungsdisziplin tatsächlich zu fassen bekommt, sei leise bezweifelt. Unterhaltsam aber ist die Lektüre allemal.