

Für einen stabilen Umgang mit der eigenen Störung
Andreas Kremla in FALTER 11/2014 vom 14.03.2014 (S. 42)
Psychologie: Hans-Joachim Maaz hat in 40 Jahren tausende Klienten therapiert -und erklärt, was Psychotherapie leisten kann
Dies ist nicht der erste Leitfaden zur Psychotherapie. Ungewöhnlich ist die Idee, gleich beide möglichen Zielgruppen mitzunehmen auf die Rundfahrt durchs Reich seelischer Leiden und ihrer Heilung: Sowohl potenziellen Patienten als auch Fachkollegen will Hans-Joachim Maaz einen Überblick bieten.
Bestens vertraut ist der in der DDR ausgebildete Psychiater mit ihnen allen. Tausende Klienten hat er in über 40 Jahren therapiert, als Chefarzt einer psychotherapeutischen Klinik in Halle etwa 500 Kollegen ausgebildet und seine eigene Methode entwickelt, die "Psychodynamische Einzeltherapie".
Ganz klar positioniert der geübte Autor mehrerer Bücher (zuletzt erschien "Die narzisstische Gesellschaft", 2012) sein neues Werk als subjektiven Bericht. Dessen Grundlage sieht er im "Reichtum an praktischer Erfahrung, den ich immer mehr geschätzt habe als alle Theorie und Wissenschaft".
Und ab ins Wunderland der Seelenarbeit. Diese beginnt mit dem Zusammenfinden von Patient und Therapeut. Nebst praktischen Tipps bringt Maaz eine bemerkenswerte Faustregel: "Jeder Psychotherapeut ist für etwa ein Drittel aller Patienten sehr gut, für ein weiteres Drittel akzeptabel und für ein Drittel nicht wirklich hilfreich."
Hilfe! Ratgeber? An manchen Stellen sieht es kurz so aus, als wolle der Autor dem Leser sagen, was er zu tun habe. Meist weitet sich der Blick rasch wieder und man erkennt, dass hier die Landkarte einer kleinen Welt erschlossen, nicht ein bestimmter Weg darin vorgezeichnet werden soll.
Einfühlsam und leicht verständlich erklärt Maaz die Arbeit, die Patient und Therapeut gemeinsam leisten, zeigt den Vertrag, den die beiden miteinander schließen, die Beziehung, die sie aufbauen, die Ziele, die sie erreichen können.
Fachlich interessant wird es bei seinem Entwicklungsmodell, das zwischen Mütterlichkeits-und Väterlichkeitsstörungen unterscheidet. Hierzu schildert er zahlreiche Fälle: Lehrbeispiele für die einen, hautnahe Geschichten von Menschen, die einen Weg aus ihrer Not finden, für die anderen. Hier sieht man, was Tag für Tag in der Psychotherapie geschieht: emotionale Entladung, Wiederentdeckung von verdrängten Erlebnissen und Gefühlen aus der Kindheit, Bearbeitung der Modellbeziehung zwischen Therapeut und Klient. Hier geht's ans Eingemachte, denn Psychotherapie ist kein Wellnessangebot.
Wie schon in früheren Werken unterstreicht der Psychoanalytiker frei nach Urvater Freud die auf immerdar prägende Bedeutung der frühen Kindheit. Riskant erscheint das hieraus resultierende Idealbild einer stets versorgenden Mutter. Auch andere Dinge könnte man anders sehen. Verliebtheit beispielsweise als "eine spezifische psychische Störung" zu werten findet sicherlich nicht ungeteilte Zustimmung aller Kollegen.
Die Seelenheilkunst hat ihre Grenzen. Keine Heilung, sondern nur den stabilen Umgang mit einer Störung zu erreichen, sei nicht leicht zu akzeptieren in einer Welt, "die den Irrtum kultiviert, man könne alles erlangen, wenn man nur wolle". Maaz geht dabei so weit, unseren Begriff von Gesundheit zu relativieren: "Ich habe nach medizinischen und psychologischen Befunden sehr kranke Menschen kennengelernt, die sich subjektiv wohlfühlen, und Menschen, die erheblich leiden, ohne dass dafür objektivierbare Befunde vorliegen."
Der Spagat zwischen den Bedürfnissen von Kollegen und Patienten gelingt. Hilfesuchende erhalten klare Orientierungspunkte im weiten Land der Seelenheilung. Fachkollegen finden ehrliche Einblicke in die Arbeit eines erfahrenen Kollegen, der auch sehr eigenständige Ansätze verfolgt - beinahe wie bei einem Erfahrungsaustausch in einem medizinischen Arbeitskreis.
Für den Patienten bedeute Psychotherapie "anstrengende, belastende Arbeit", die zu "Erkenntnissen, Gefühlen und zur Verhaltensänderung" führe. Sein Buch darüber zu lesen fällt hingegen ganz leicht. Manchmal entsteht das Gefühl, Therapie könnte auch anders ablaufen. Doch zu sehen, wie ein alter Routinier an die Sache herangeht, hat hohen Erkenntniswert.