

Der wienerische Kultur- und Sprachbazillus
Alfred Pfoser in FALTER 11/2014 vom 14.03.2014 (S. 39)
Geschichte: Endlich liegt die langjährige Beschäftigung von Egon Schwarz mit dem Wiener Fin de Siècle als Buch vor
Egon Schwarz (Jg. 1922), der amerikanische Germanist Wiener Herkunft, hat viel publiziert. Er gehörte zu den regelmäßigen Mitarbeitern von Marcel Reich-Ranickis FAZ-Feuilleton. Sein kritisches Buch über Rilke ("Das verschluckte Schluchzen", 1972) hat großes Aufsehen erregt. Etliche Sammelbände sind von ihm herausgekommen. Seine lesenswerte Autobiografie hat mehrere Auflagen erlebt, nicht zuletzt ist er immer wieder auch zu Vorträgen in Wien gekommen, denn die österreichische Literatur war ihm immer ein Anliegen.
Er hat sich intensiv mit der Literatur des Wiener Fin de Siècle und der Zwischenkriegszeit beschäftigt. Und doch gab es kein Buch, das seine verstreuten publizistischen Beiträge zur Literatur seiner Heimatstadt einigermaßen zusammenfasste und sie als Ganzes präsentierte. "Wien und die Juden" holt dies nach und gibt Egon Schwarz den Platz in der österreichischen Kulturgeschichtsschreibung, der ihm gebührt. In luzider, zupackender, lesbarer Weise setzt er sich mit dem Spezifikum der Wiener Literatur der Jahrhundertwende, ihrem starken Anteil an jüdischen Autoren (und Autorinnen) auseinander.
Eingebunden sind dabei zwei Essays über die eigenen Erfahrungen, die vom Schrecken der Vertreibung berichten, aber auch von der Erfahrung der Welterweiterung durch die Emigration. Seine Odyssee durch etliche lateinamerikanische Länder, die ihn schließlich in die USA geführt hat, hat einen geistigen Abstand zum antisemitischen, provinziellen Wien ermöglicht und seinen Blick geschärft.
Gleichzeitig hat Schwarz den wienerischen "Kultur- und Sprachbazillus" dorthin im Gepäck mitgenommen, er hat ihm geholfen hat, sein Schicksal zu überstehen und eine gewisse Distanz als Stil zu entwickeln. Sein (wohl auch liebster) Kronzeuge in diesem Buch ist Arthur Schnitzler, der mit verzweifelter Skepsis wie mit liebevoller Ironie Wien gespiegelt hat. Mit dem Roman "Der Weg ins Freie" (1908) und dem Drama "Professor Bernhardi" (1912) hat er spannende, bis heute gültige Stadtporträts geschaffen, die das Drama der Multiethnizität einfingen.
Das Wien der Jahrhundertwende vergleicht Schwarz mit dem der Zwischenkriegszeit. Eine Generation von jüdischen Autoren wie Joseph Roth oder Franz Werfel ist durch die Extremerfahrung des Ersten Weltkrieges gegangen, hat die Katastrophen des Ostjudentums beobachtet und ihre Schlüsse daraus gezogen.
Wie weit war ihre literarische Welt von der eines Karl Emil Franzos entfernt, der 20 Jahre zuvor ("Der Pojaz", 1893/1905) noch ganz auf einen deutschnationalen Emanzipationskurs der Juden gesetzt hatte...