Die Stimmen aus der Unterwelt

Bob Dylans Mysterienspiele
256 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783406688768
Erscheinungsdatum 24.10.2016
Genre Sachbücher/Kunst, Literatur/Literatur
Verlag C.H.Beck
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Kurzbeschreibung des Verlags


Mit „Love and Theft“, Liebe und Klauen, dem Album von 2001, begann Bob Dylans Spätwerk. Die darauf und den dann folgenden Alben versammelten Songs deuten die Gegenwart nicht nur als apokalyptischen Totentanz, sondern brachten Dylan auch den Vorwurf des Plagiats ein: Waren die Texte nicht allesamt zusammengeklaut, montiert aus Versatzstücken, die er der amerikanischen Musiktradition und der Weltliteratur von Homer und Ovid über Shakespeare bis F. Scott Fitzgerald entnommen hatte, ohne auch nur ein einziges davon nachzuweisen? Was als Inspirationsmangel eines alternden Künstlers erscheinen könnte, bildet, wie der Literaturwissenschaftler und Dylan-Experte Heinrich Detering zeigt, das Kernstück einer zeitgenössischen, ungeheuer produktiven Poetik. Bei Dylan hat Ovid den Blues. Und der Blues hallt durch die Gewölbe der Antike, vernehmbar bis in die Gegenwart. Mit literarischem Einfühlungsvermögen und detektivischer Beobachtungsenergie führt Detering ins Zentrum von Bob Dylans einzigartiger Kunst, der wiederholt als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt wurde. Und er öffnet den Blick für die erstaunlichen schöpferischen Möglichkeiten einer Songpoesie, ja von Poesie generell im 21. Jahrhundert.


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FALTER-Rezension

Mysterien und Musik, Identität und Zitate

Jörg Magenau in FALTER 11/2016 vom 18.03.2016 (S. 44)

Pop: Heinrich Detering porträtiert in einer grandiosen Studie Bob Dylan als Sänger mit der Dylan-Maske

„Love and Theft“, Liebe und Diebstahl, hieß die CD von Bob Dylan, mit der Heinrich Detering, Literaturwissenschaftler und großer Dylanologe, das „Spätwerk“ des Meisters beginnen lässt. Sie erschien ausgerechnet am 11. September 2001 und wurde trotz ihrer doch eher beschwingten Grundstimmung auf diese Weise zur apokalyptischen Begleitmusik von 9/11.
Die Apokalypse hatte Dylan schließlich oft genug besungen seit seiner evangelikalen Phase Anfang der 1980er Jahre, in der seine Lieder aus Bibel-Zitaten bestanden. „Liebe und Diebstahl“ ist das im Titel ausgestellte poetische Verfahren dieser Songs, in denen kaum eine Zeile von Dylan selbst stammt. Vielmehr hat er sich nach Lust und Laune und mit sehr viel Liebe in der Literatur- und Musikgeschichte bedient.

Im Internet gibt es spezielle Seiten, auf denen Dylan-Nerds ihre Fundstellen austauschen. Aufgeführt sind da Homer, Ovid, Juvenal und Petrarca ebenso wie Tennessee Williams, ­Lewis Carroll oder Mark Twain, vor allem aber und immer wieder Shakespeare, dessen „Sturm“ dann auch in der Titanic-Untergangs-Kapellen-Musik „Tempest“ anklingt, auch wenn bei Dylan gar kein Wind mehr bläst.
Der Titel „Love and Theft“ ist seinerseits ein Zitat und steht auf dem Cover in Anführungszeichen. Detering zeigt, dass es sich dabei ursprünglich um eine gelehrte Abhandlung über amerikanische Minstrel-Shows handelt – eine traditionelle, burleske Volkstheatertradition, bei der schwarz geschminkte weiße Darsteller Texte der High Culture zelebrierten.
Dass Dylan in den 1970er-Jahren während seiner „Rolling Thunder“-Tournee mit weiß geschminktem Gesicht aufzutreten pflegte, belegt, wie sehr er sich in dieser Tradition sah, dass er aber auch die rassistische Komponente darin erkannte und umkehrte.
„Love and Theft“ und alle folgenden Veröffentlichungen haben Dylan nicht nur den Vorwurf eingebracht, ein skrupelloser Plagiator zu sein. Es hieß auch, seine Kreativität versiege jetzt im Alter: Weil ihm selber nichts mehr einfalle, klaube er alles auf, was sich zu Songs zusammennageln lasse.

Detering, der schon viel Kluges über Dylan geschrieben hat, zeigt nun in seiner grandiosen Studie, wie Dylans Technik des Zitierens, Collagierens und Verbindens funktioniert. Leichter wird der Weg zum fertigen Liedtext auf diese Weise sicher nicht, zumal Dylan auch seine eigenen, älteren Songs auseinandernimmt und wieder eingehen lässt in den großen Strom der Tradition, aus dem er schöpft. Demonstrativ greift er in die Zeitentiefe, um die immerwährenden menschlichen Grundfragen zu betrachten, Liebe, Tod, Armut, Einsamkeit. So schreibt und verdichtet er den amerikanischen Mythos.
Aber das ist nicht alles: Dylan verschwindet auch als Figur, als Sprecher und Sänger in der „Vielstimmigkeit des Zitatengestöbers“ und der Identitätsspiele, die er inszeniert. Selbst in den wenigen Interviews, die er gibt, spricht er oft in Zitaten. „Masked & Anonymous“, ein merkwürdig unergründlicher Film aus dem Jahr 2003, in dem Dylan einen Sänger mit dem Namen Fate (dt. Schicksal) spielt, gerät nicht nur wegen des sprechenden Titels in Deterings Blick.
Da ist zu sehen, wie eine Figur als Fremder entworfen wird, maskiert und anonym und doch sie selbst, so wie Dylan immer der Sänger mit der Dylan-Maske gewesen ist. Im Alter aber nimmt er sie ab. Dahinter steckt aber nicht eine bestimmte Person, sondern die Geschichte selbst, die in all ihrer Vielstimmigkeit durch ihn hindurchläuft.
Viel einfacher als diese ausgesuchte Disparatheit wäre es, als ein „Ich“ aufzutreten und simpel und direkt Songs zu schreiben, wie gehabt.

Das aber will Dylan nicht, nicht mehr. Seine Eitelkeiten sind befriedigt. Wenn er Botschaften verkündet, dann nur als Zitat und mit dem doppelten Boden der „Selbstironie und Entpersönlichung“. Dieser Spur folgt Detering konsequent. In einzelnen Kapiteln untersucht er die Songs „Working Man’s Blues #2“, „Tempest“, „Roll on John“ – und entdeckt schließlich auch in den Sinatra-Adaptionen von „Stay with Me“ Dylans abgründige Anwesenheit im bloßen Arrangement.
Deterings analytische Schärfe, mit der er die Songtexte auf ihre Herkünfte abklopft und sie damit in die Weite ihres Bedeutungshorizontes rückt, ist philologische Hermeneutik im besten Sinne. Darüber hinaus ist dieses Buch aber auch spannend zu lesen – nicht bloß für Dylanologen, die sowieso immer schon alles wissen, sondern auch für Leser, die sich dafür interessieren, was eine Person eigentlich ausmacht – jenseits der schlichten Subjekt-Vorstellung – und wie Kunst entsteht – jenseits von künstlerischem Narzissmus.

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