

Mit einem Deutschen durch den Osten
Nina Brnada in FALTER 9/2018 vom 02.03.2018 (S. 32)
Der deutsch-iranische Intellektuelle und Autor Navid Kermani begibt sich ausgehend von seiner deutschen Heimat auf eine Reise durch Osteuropa. Über Polen, die Ukraine, Georgien und Armenien gelangt er bis in die zentraliranische Stadt Isfahan, aus der seine Familie stammt.
Auf diesem Weg kommt er durch Gebiete, die im Zentrum aktueller Konflikte stehen. Polen durchläuft gerade eine antieuropäische Entwicklung und die Zukunft des Irans ist nach wie vor von weltpolitischer Bedeutung. Warum der Autor ausgerechnet jetzt diese Route wählt, erschließt sich aus dem Buch nicht ganz – aber sie erscheint auf den ersten Blick vielversprechend.
Und dennoch: Kermani präsentiert zwar eine durchaus anregende Sammlung von Bücherwissen über die Länder, die er durchquert – angereichert mit Gesprächen mit vielzitierten Intellektuellen aus diesen Gegenden. Aber seine Erzählungen sind statisch, die Orte, die Kermani aufsucht, zu erwartbar (etwa das Oskar-Schindler-Museum in Krakau oder das KGB-Museum in Vilnius). Zudem war der Ablauf der Reise offenbar genau durchgeplant. Es kommt kaum zu spontanen Begegnungen, Kermani schafft wenig Raum für all das, was ein solches Unterfangen wirklich unvergesslich macht – jene Dinge, mit denen man nicht gerechnet hat.
Auch programmatisch überzeugt „Entlang der Gräben“ nicht besonders: Wer Kermani auf seiner Reise folgt, der nimmt diesen Teil der Welt durch die Augen eines sehr deutschen Beobachters wahr. Der Autor liefert mit seinem Buch das, was ein liberal gesinnter, nicht allzu genau informierter Westeuropäer von einer Reise in den Osten erwartet – einen Schuss Wildnis und jede Menge Staunen darüber, dass auch Osteuropa ein Teil Europas samt gemeinsamer Geschichte ist. Auch die Sorgen über die nationalistischen Tendenzen im Osten dürfen nicht fehlen. Kermanis zuweilen penetrante Westperspektive erschwert den Versuch, den Osten wirklich zu begreifen.
Akademietheater, 28.2., 20 Uhr: Navid Kermani im Gespräch mit Philipp Blom