

Hey, du kannst für immer 14 sein!
Maik Novotny in FALTER 11/2021 vom 17.03.2021 (S. 8)
Man kennt diese Typen: Familienväter über 40, die mit dem Longboard übers Straßenpflaster rollen, samstags alte Band-T-Shirts auftragen und überglücklich sind, wenn eine verblichene Zeitschrift der eigenen Jugend wieder aufgelegt wird (YPS mit Gimmick!). Herzensgute Kindsköpfe, deren nie endende Adoleszenz meistens von einem nachsichtigen Umfeld pragmatischer Frauen aufgefangen wird.
Auf den ersten Blick fällt auch der durchaus nahe am Autor gebaute Erzähler in Jochen Schmidts Textsammlung „Ich weiß noch, wie King Kong starb“ in diese Kategorie. Er pflegt seine alte Spielzeugsammlung, geht mit gleichgesinnten 50-Jährigen auf den Bolzplatz und beneidet den eigenen Sohn ums Kindsein. Wie beim stolzen Ostalgiker Schmidt üblich, sind die eigenen Erinnerungen vor allem durch das Aufwachsen in der DDR geprägt, etwa die Erlebnisse in systemkritischen katholischen Jugendgruppen, deren „freundliche Zugewandtheit“ treffend beschrieben wird.
Als „Florilegium“ sind diese Textminiaturen ausgewiesen, eine in Vergessenheit geratene Gattung literarischer Blütensammlungen. Ihre erratische Collagenhaftigkeit wird hier durch Zeichnungen, zwischen altväterlich und kindisch oszillierende illustrierte Witze sowie Schwarzweißfotos von Reisemitbringseln betont. Die Texte selbst tragen so schöne Titel wie „Hypnotiseure in Soest“ und lassen Schmidts jahrelange Lesebühnen-Erfahrung durchscheinen. Sie wirken wie locker hingeworfen, sind aber gut geölte Maschinchen, die darüber hinaus ein rampensauhaftes Gespür für hammermäßige Schlusspointen verraten. Sie sind sehr oft sehr lustig und – der Rezensent hat es selbst getestet – ideal zum Vorlesen geeignet. Nur manchmal schrammen sie etwas hart an der Grenze zur „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“-Stand-up-Routine entlang – etwa wenn der Erzähler seiner Freundin nicht zuhört, weil er gerade darüber nachdenken muss, „wer die letzten fünf Trainer des HSV waren“.
Weil Schmidt aber seinen Beruf ernst nimmt und einiges an Selbstreflexion in seine Texte einfließen lässt, ist dieses Florilegium mehr als nur Comedy. Mit kindlicher Sprachverliebtheit greift er Begriffe wie „Schnürnecessaire“ und „Toi-et-moi-Ring“ auf, die er in der Trash-TV-Sendung „Bares für Rares“ aufgeschnappt hat: „Ich freue mich immer, neue Wörter kennenzulernen, denn man kann sie einfach benutzen, ohne dafür zu bezahlen.“
Den etwas ernsthafteren Gegenpol zu solchen Beobachtungen bildet das Schriftstellerdasein, mit dem sich Schmidt immer wieder auseinandersetzt. Was ist das eigentlich für ein Beruf? Wie, wo und womit schreibt man? Als Leitsterne dienen ihm hier zwei Figuren, denen längere Texte gewidmet sind: zum einen Iwan Gontscharows „Oblomow“, für dessen tiefenentspannte Lebenshaltung Schmidt eine überzeugende Verteidigungsrede hält, zum anderen Marcel Proust.
Hatte er in seinem 2009 als Buch veröffentlichten Proust-Blog die tägliche Lektüre des Mammutwerks „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ kommentiert, widmet Schmidt sich hier dem Alltag des Autors selbst, dessen Neurosen er mit solidarischem Mitgefühl nacherzählt. Er beneidet den bakteriophoben Franzosen aber nicht nur um dessen Apparat zum Desinfizieren von Briefen, sondern hat ein professionelles Interesse an diesem: „An anderen Autoren interessiert mich, wie sie ihr Leben organisiert haben, um arbeiten zu können, denn das ist eines der wichtigsten Talente, über das man verfügen muss.“
Erwachsene sind seriöse Leute, die seriöse Jobs haben. Der Schriftstellerberuf, suggeriert Schmidt mit beharrlichem Trotz, ist ein Gegenwurf, der helfen soll, die eigene Kindheit wenigstens schreibend in die Gegenwart zu retten. Auch wenn sie einem dann wieder aus den Fingern gleitet: „Jeder Tag treibt mich tiefer ins Exil meines Erwachsenseins, mit dem ich nichts anfangen kann, für das ich von der Natur nicht vorgesehen bin, das ich als lästiges Nachspiel der verlorenen Kindheit empfinde.“