

Verstand, Fantasie und Naturliebe vereint
Alfred Pfoser in FALTER 11/2021 vom 19.03.2021 (S. 40)
Romantik oder romantisch bedeutet landläufig vielerlei. Auch der Epochenbegriff Romantik bringt es kaum zu festen Konturen. Relativ leicht tut sich Stefan Matuschek in seinem Buch „Der geteilte Himmel“ mit dem Beginn der Ära: Es ist das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, und das hängt mit der Französischen Revolution zusammen. „Romantik“ war keineswegs nur ein Phänomen der Literatur, sondern auch der Malerei, der Architektur oder der Philosophie. Sie fand keineswegs nur im deutschen Sprachraum statt, obwohl sie dort theoretisch von den Brüdern Friedrich und August Wilhelm Schlegel wesentlich begründet wurde. Besonders heikel wird die zeitliche Ansetzung des Endes, denn sie läuft in verschiedenen Ländern und Literaturen unterschiedlich aus. Sprich: Es gab kein europaweit wirksames, markantes Schwellenereignis. Das romantische Prinzip, einmal in die Welt gesetzt, kam den Künsten, der Literatur und dem Denken nicht mehr abhanden und wirkte etwa im Surrealismus weiter.
Wesentliches Stil- und Wesensmerkmal der Romantik war, dass sie sich, anders als die Aufklärung, mit den großen Geheimnissen des Lebens beschäftigte.
Was sich nicht rational beantworten ließ, schreckte sie nicht. Ganz im Gegenteil. Sie fragte nach dem Zusammenhang des Ganzen, sie kümmerte sich um das Merkwürdige, Fantastische und Groteske, sie hatte ein Faible für Religion, allerdings nicht für Dogmen. Die Romantik war nicht antiaufklärerisch, sondern forderte die Menschen auf, sich den Naturerfahrungen, den subjektiven Grenzgängen und der Transzendenz zu öffnen, auch wenn das Ergebnis zweifelhaft und unsicher war.
Der Schlüssel für das Verständnis der Romantik ist für den Jenaer Germanisten, der sich seit vielen Jahren dieser Bewegung widmet, die „Kippfigur“. Damit meint er, dass im romantischen Stil auch Gegensätzliches Platz hat, dass sich Verstand und Fantasie nicht ausschließen. Ihr philosophisches Fundament bildet die ironische Brechung. Shakespeares „Hamlet“ und Cervantes’ „Don Quijote“ wurden damals als die großen Vorbilder gehandelt.
Die politisch dunklen Seiten der Romantik gab es zweifellos auch. Die Nationalisierung der Kultur, die Feier von Volk und Volkstümlichkeit gehörten, wie Matuschek in einem eigenen Kapitel darstellt, zum deutschen Erbe, das den Nationalsozialismus vorbereiten half. Dafür wurde im 19. Jahrhundert so einiges zusammengeflickt. Die deutsche Geschichte wurde zugerichtet, damit sie von Größe, Würde und besonderer Eigenart der Nation zeugen konnte.
Volkstümlichkeit verkam in den anti-napoleonischen Befreiungskriegen zum Chauvinismus. Das „Nibelungenlied“ wurde zum Gegenstück der altgriechischen „Ilias“ aufgewertet. Mit einer abstrus hergeleiteten Mythologie wurde versucht, die „Edda“ zu einer nordischen Walhalla-Religion aufzupolieren. Richard Wagners Opern waren das bekannteste Beispiel für den Versuch, die neuzeitliche deutsche Kultur im Germanentum zu verankern.
Das deutsche Verhängnis gehört also zur Geschichte der Romantik. Diese allerdings auf die „Zerstörung der Vernunft“ (Georg Lukács) zu reduzieren sei ein kapitaler Fehlschluss, meint Matuschek. Er betont die Innovationen, die die Romantik der europäischen Kulturgeschichte gebracht hat. „Sie besteht weniger in neuen Überzeugungen, Meinungen und Thesen als vielmehr in einer neuen Darstellungsweise. Sie ist ein Stilphänomen, das aber weit mehr als nur Stilistisches betrifft und unmittelbar auf die Weltanschauung und Lebenseinstellung durchschlägt.“
Ein gelehrtes Buch mit großem Horizont, das souverän Literatur, Kunst und Theorie mit politischer Geschichte verbindet. Überdies ist das Epochenporträt gut und anschaulich geschrieben und verliert in der Fülle der Themen nicht den Überblick – und vermag so zweifellos auch ein größeres Publikum zu faszinieren.