

Als die Sonne auf das Schafott schien
Stefanie Panzenböck in FALTER 43/2020 vom 21.10.2020 (S. 35)
So ein herrlicher sonniger Tag, und ich muss gehen“, sagte Sophie Scholl zu ihrer Mitgefangenen Else Gebel. Es war der 21. Februar 1943, der Tag vor ihrer Hinrichtung. Scholl und Gebel, eine kommunistische Widerstandskämpferin, lagen in ihrer Zelle auf den Betten. „Aber wie viele müssen heutzutage auf den Schlachtfeldern sterben, wie viele junge, hoffnungsvolle Männer? Was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln tausende von Menschen aufgerüttelt und geweckt werden.“
Dieses Zitat, das Gebel nach dem Krieg in ihren Erinnerungen wiedergab, ist eine der eindrücklichsten Passagen in Maren Gottschalks Biografie über die deutsche Studentin und Widerstandskämpferin mit dem Titel „Wie schwer ein Menschenleben wiegt“. 2012 hatte Gottschalk schon einmal die Lebensgeschichte Sophie Scholls aufgeschrieben. Bisher unveröffentlichte Quellen und Gespräche mit Zeitzeugen bilden die Grundlage für das neue Buch.
Gottschalk greift in einer kurzen Vorrede einen Aspekt von Scholls Persönlichkeit heraus, der kaum bekannt ist. „Diese lachende Sophie Scholl, die sich auch in Zeiten großer Gefahr und zunehmender Erschöpfung über die Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht freut und im Schnauben des Kutschpferdes die gleiche Lebenslust erkennt, die sie selbst spürt, steht immer im Schatten der ernsten Widerstandskämpferin.“ Es ist ein ungewöhnlich optimistischer Beginn, den Gottschalk hier wählt. Und das Lachen klingt – tatsächlich – bis zum Ende nach.
Die Biografie greift im ersten Kapitel auf das Jahr 1941 vor, in dem Scholl ihren Reichsarbeitsdienst leistete. Es war eine Phase ihres Lebens, in der sie das nationalsozialistische Regime durchschaut hatte und ablehnte. Doch dem war lange Zeit nicht so gewesen. Wie die meisten ihrer Geschwister war Sophie über viele Jahre ein begeistertes Mitglied der nationalsozialistischen Jugendorganisationen, obwohl die Eltern sich als Gegner Hitlers bekannten.
Vor allem Sophies Bruder Hans, der am selben Tag als Widerstandskämpfer hingerichtet wurde, tat sich als Jugendlicher in dieser Sache hervor.
Für Sophie kam die große Wende mit Kriegsbeginn. Zwar eckte sie auch davor immer wieder in den Jugendorganisationen an, doch das erschütterte ihre Loyalität zum Regime nicht grundlegend. Sie soll sich laut Aussagen einer Mitschülerin nach den Novemberpogromen im Jahr 1938 über die Demütigung des Rabbi empört haben, doch gesichert ist das nicht. „Sophie machte sich in dieser Zeit über vieles Gedanken. Die Verfolgung der Juden scheint nicht dazugehört zu haben, denn es findet sich in ihren Briefen und Tagebüchern nicht der leiseste Hinweis auf dieses Thema, auch nicht versteckt.“ Während des Krieges erreichten die Familie Scholl immer öfter Nachrichten über die Ermordung von Juden und Menschen mit geistiger Behinderung, über die Gräueltaten an der Ostfront. Ab 1942 formierte sich in München langsam der Kreis, aus dem später die Widerstandsorganisation Weiße Rose hervorgehen sollte.
Gottschalk nimmt sich Zeit, um diese Entwicklung zu erklären. Sie zitiert aus vielen Briefen, die Sophie selbst oder ihre Freundinnen geschrieben haben. Eine wichtige Quelle ist auch Sophies Briefwechsel mit ihrem Freund und Partner Fritz Hartnagel, der als Offizier der Wehrmacht an die Front musste. Gottschalk versucht an die Wurzeln Sophies zu gelangen, an deren eigene Worte und Gedanken. Darunter leidet bisweilen die Dramaturgie der Geschichte, die Ereignisse wirken oft nur aneinandergereiht, ohne sprachlich besonders miteinander verbunden zu werden. Doch im Grunde ist auch das der Vorzug dieser Biografie.
Gottschalk schafft so viel wie möglich Platz für ihre Protagonistin, wägt widersprüchliche Aussagen gegeneinander ab, nimmt sich als Autorin stark zurück. Dadurch entsteht eine große Ruhe, die es erlaubt, das Leben von Sophie Scholl mit den großen historischen Ereignissen zu verknüpfen, deren Teil sie am Ende selbst wird.