

Der inkompetente Staat
Markus Marterbauer in FALTER 30/2021 vom 30.07.2021 (S. 19)
Von Impfstoffbeschaffung bis Kurzarbeit: Der deutsche Ökonom Moritz Schularick zieht Lehren aus der Covid-Krise
In der Covid-Pandemie halten die kommenden Krisen ihre Generalprobe. Im Urteil Moritz Schularicks, Professor an der Universität Bonn und einer der wichtigsten deutschsprachigen Makroökonomen, gab es bei diesem Test der staatlichen Handlungsfähigkeit Deutschlands mehr Schatten als Licht.
Dabei begann alles recht erfolgreich, was mit ein paar Einschränkungen auch für Österreich gilt: Die erste Covid-Welle im Frühjahr 2020 wurde mit einem raschen Lockdown relativ gut bewältigt. Schularick betont die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems und des Sozialstaats, der eine Sternstunde erlebte.
Die in beiden Ländern in großem Stil eingesetzte Kurzarbeit rettete zahllose Arbeitsplätze. Dennoch stieg die Arbeitslosigkeit in Österreich zunächst drei Mal so stark wie in Deutschland, auch weil viele Tourismusbetriebe kündigten, statt in Kurzarbeit zu gehen. Auch der Sozialstaat zeigte da und dort Lücken: Etwa im Fehlen einer Erwerbslosenversicherung oder von Kurzarbeitsregelungen für kleine Selbstständige und Kulturschaffende.
In der zweiten Covid-Welle im Herbst 2020 wurden die Versäumnisse offensichtlicher. Etwa in den fehlenden Entlüftungsanlagen in Schulen, deren Einbau nicht einmal vor der vierten Covid-Welle gelang. In vielen Regionen funktionierte das Testen nicht, Kontaktverfolgung und Quarantäneüberwachung blieben löchrig.
Schularick geht mit den Fehlern bei der Impfstoffbeschaffung besonders scharf ins Gericht. Deutschland, Österreich und die EU waren an niedrigen Preisen interessierte Kunden statt auf raschen Aufbau von Produktionskapazitäten drängende Partner der Industrie. Die Administration Biden in den USA hingegen stellte auf Corona-Kriegswirtschaft um und griff dirigistisch in die Impfstoffproduktion ein.
Ach, Tirol!
Ein besonders kostspieliger Denkfehler besteht im angeblichen Zielkonflikt zwischen Wirtschaft und Gesundheit. Lockdowns werden verschleppt, Öffnungen zu früh umgesetzt, weil das wirtschaftlich notwendig sei.
Doch Schularick zeigt, wie ein entschiedener Lockdown mit dem Ziel niedriger Inzidenzen auch wirtschaftlich sinnvoll ist, weil er kurzfristig wenig Wirtschaftsaktivität kostet und mittelfristig viel mehr ermöglicht.
Er beklagt die Probleme politischer Entscheidungsfindung, Verwaltungsroutinen, Föderalismus, Langsamkeit und Einfluss mächtiger Lobbys (ach, Tirol!). Es fehlen die Digitalisierung in Verwaltung und Schulen, Daten und institutionalisierte Zusammenarbeit mit problemorientierter Forschung. Der deutsche Staat ist ungenügend auf Handeln in unerwarteten Situationen, auf „Reagieren ohne Betriebsanleitung“ eingestellt.
Schularick führt das auch auf die deutsche Spargesinnung zurück: Sparsamkeit galt gerade beim Staat als wichtigste Sekundärtugend des 21. Jahrhunderts. „Schwarze Null“ und „Schuldenbremse“ behinderten Digitalisierung und Ausbau öffentlicher Infrastruktur. Dies könnte sich bei der Bearbeitung der nächsten Krisen, von Klima bis Ungleichheit, aufs Neue rächen. Angesichts der enormen Herausforderungen und der historisch niedrigen Zinsen ist ein Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik notwendig.
Erfreulicherweise gibt es diesen in Berlin und in Brüssel: Finanzminister Olaf Scholz drängt, beraten von einem Kreis exzellenter und pragmatischer Ökonominnen und Ökonomen, auf starke öffentliche Investitionen gegen die Krisen, etwa in Form des EU-Wiederaufbaufonds.
Sparen als Glaubenssatz
Bitter, wie parallel dazu Österreich an wirtschaftspolitischer Kompetenz abbaut: Lange für aktive Wirtschaftspolitik, hohe Investitionen und starken Sozialstaat gerühmt, verkündet die Bundesregierung nun Spargesinnung als Glaubenssatz und bremst bei EU-Offensiven für Investitionen und Sozialstandards. Gleichzeitig lag das Budgetdefizit wegen oft überfördernder und intransparenter Unternehmenshilfen doppelt so hoch wie in Deutschland – und dennoch explodierte die Zahl der meist armutsgefährdeten Langzeitarbeitslosen.
Moritz Schularick verlangt angesichts der Erfahrungen in der Covid-Pandemie ein „Upgrade“ für den Staat. Um unter Unsicherheit verlässlich handeln zu können, sind bessere Daten, engere Vernetzung mit der Wissenschaft, leistungsfähige Verwaltung sowie öffentliche Interventions- und Investitionsbereitschaft nötig.
Es geht nicht um mehr oder weniger Staat, sondern um einen handlungsfähigen und kompetenten Staat, der die neuen Herausforderungen ebenso gezielt wie pragmatisch angeht. Das gilt wohl gleichermaßen für Österreich.