Ein Hof und elf Geschwister

Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben in Deutschland
191 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783406797170
Erscheinungsdatum 20.12.2023
Genre Sachbücher/Geschichte/Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
Verlag C.H.Beck
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Kurzbeschreibung des Verlags


DEUTSCHER SACHBUCHPREIS 2023


Die stolze bäuerliche Landwirtschaft mit Viehmärkten, Selbstversorgung und harter Knochenarbeit ist im Laufe der Sechzigerjahre in rasantem Tempo und doch ganz leise verschwunden. Ewald Frie erzählt am Beispiel seiner Familie von der großen Zäsur. Mit wenigen Strichen, anhand von vielsagenden Szenen und Beispielen, zeigt er, wie die Welt der Eltern unterging, die Geschwister anderen Lebensentwürfen folgten und der allgemeine gesellschaftliche Wandel das Land erfasste.


Zuchtbullen für die monatliche Auktion, Kühe und Schweine auf der Weide, Pferde vor dem Pflug, ein Garten für die Vorratshaltung – der Hof einträglich bewirtschaftet von Eltern, Kindern und Hilfskräften. Das bäuerliche Leben der Fünfzigerjahre scheint dem Mittelalter näher als unserer Zeit. Doch dann ändert sich alles: Einst wohlhabende und angesehene Bauern gelten trotz aller Modernisierung plötzlich als ärmlich und rückständig, ihre Kinder riechen nach Stall und schämen sich. Wege aus der bäuerlichen Welt weist die katholische Kirche mit neuer Jugendarbeit. Der Sozialstaat hilft bei Ausbildung und Hofübergabe. Schon in den Siebzigerjahren ist die Welt auf dem Land eine völlig andere. Staunend blickt man zurück, so still war der Wandel: "Mein Gott, das hab ich noch erlebt, das kommt mir vor wie aus einem anderen Jahrhundert." Ewald Frie hat seine zehn Geschwister, geboren zwischen 1944 und 1969, gefragt, wie sie diese Zeit erlebt haben. Sein glänzend geschriebenes Buch lässt mit treffsicherer Lakonie den großen Umbruch lebendig werden.

  • Deutscher Sachbuchpreis 2023
  • Eine Familie erlebt das Verschwinden des bäuerlichen Lebens in den 50er und 60er Jahren
  • Verwebt auf überzeugende Weise die eigenen Erfahrungen mit zeitgeschichtlichen Zusammenhängen
  • Dicht und eindringlich geschrieben, überzeugend und berührend
  • Für Leser:innen von Christiane Hoffmanns Bestseller "Alles, was wir nicht erinnern"


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    ISBN 9783406797170
    Erscheinungsdatum 20.12.2023
    Genre Sachbücher/Geschichte/Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
    Verlag C.H.Beck
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    FALTER-Rezension

    Abschied ohne Trauer

    Julia Kospach in FALTER 12/2023 vom 24.03.2023 (S. 30)

    Wenn anlässlich von Namenstagen, die im katholischen Münsterland wichtiger waren als Geburtstage, die Geschwister von Ewald Fries Eltern auf Besuch kamen, gingen die Männer nach dem Kaffee in den für diese Anlässe blitzblank hergerichteten Stall oder auf die Wiese, um dort aus Züchtersicht über Rinder und Kälber zu fachsimpeln. Die Frauen gingen derweil in den Garten, der die Familie zu einem Gutteil ernährte, und in den Keller, wo sie Apfel- und Kartoffelvorräte sowie alles in Gläsern Eingekochte in Augenschein nahmen. Sie tranken Wein und Likör nach dem Essen, das über Tage von vielen Händen vorbereitet worden war. Die Männer spielten bei Bier und Schnaps das Kartenspiel Doppelkopf, und zwar stets um Geld. Denn ohne Geld, so Ewald Fries Vater, fehle dem Spiel die „Andacht“.

    Hoch ritualisiert, nach Geschlechtern in Zuständigkeitsbereiche geschieden, tief religiös, im Familienverband mit Eltern, Kindern und Hilfskräften, tagein, tagaus im Feldanbau, in Haus und Hof und mit Pferden, Rindern, Schweinen und Hühnern am Arbeiten: So lebte die Bauernschaft jahrhundertelang und noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein. Auch auf dem wohlhabenden Hof im Münsterland, wo Ewald Frie als neuntes von elf Kindern einer alteingesessenen katholischen Bauernfamilie aufwuchs.

    In seinem neuen Buch nach dem Bestseller „Die Geschichte der Welt“ erzählt der Historiker und Professor in Tübingen die Geschichte seiner Herkunftsfamilie als „Tor zu einer Geschichte der Bundesrepublik“. „Ein Hof und elf Geschwister“ heißt der schmale Band, in dem Frie aus vielen Szenen nicht nur bäuerlichen Alltag mit Hofarbeit, Großfamilie und Alltagsreligiosität modelliert, sondern entlang der unterschiedlichen Erfahrungsräume von Eltern und Kindern auch im Kleinen den großen gesellschaftlichen Wandel sichtbar macht.

    Vor allem aus den Erinnerungen seiner zehn Geschwister, die der Historiker für sein Buch interviewt hat, werden die gewaltigen Umbrüche anschaulich. Während der älteste Bruder und Hoferbe noch im Zweiten Weltkrieg auf die Welt kommt, wird die jüngste Schwester mitten ins bewegte Ende der 1960er- Jahre hineingeboren. Eindrucksvoll schildert Frie, wie sich in dem Vierteljahrhundert dazwischen praktisch alles ändert: Die „knochenbiegende Landarbeit“, die den Vater schon mit 50 zum gebeugten Mann gemacht hat, geht mit Traktor und Landmaschinen langsam zu Ende. Zwischen 1949 und 1960 verschwindet die Hälfte der Pferde von den westfälischen Bauernhöfen, während sich die Zahl der Traktoren verzehnfacht. Parallel dazu geht mit den Wirtschaftswunderjahren und ihren wachsenden Löhnen und Jobmöglichkeiten auch die Zeit der Mägde und Knechte zu Ende. Deren Arbeitskraft müssen Eltern und Kinder durch Mehrarbeit ersetzen. „Arbeit war immer“, sagt eine der mittleren Schwestern.

    Ewald Frie beschreibt, wie trotz Hofmodernisierungen die einst selbstbewusste Bauernschaft mit Ansehensverlusten kämpft. In den Gemeinderäten drängt der aufstrebende Mittelstand die Bauernschaft in den Hintergrund. Die jüngeren Kinder schielen in Richtung Dorfleben mit seinen Freizeitangeboten. Geldmangel wird ein Thema. In der Schule schämen sich die jüngeren Kinder plötzlich ihres kärglichen Taschengelds.

    Zugleich ermöglicht eine sich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil öffnende Kirche eine individuellere Religiosität, während die neue katholische Jugendarbeit für einige Geschwister Perspektiven jenseits der bäuerlichen Welt eröffnet. Auch erleichtert der Sozialstaat mit seinen neuen Leistungen und Förderungen nicht nur die Hofübergabe, sondern auch den Zugang zu höherer Bildung.

    „Die immer weiter auseinander klaffenden Welten von Zuhause und Draußen“ musste jedes Kind für sich in Einklang bringen. Das spiegelt sich auch in ihren Erzählungen wider, die Frie mit viel Feingefühl verwebt. Ebenso ordnet er sie auf sehr kluge Weise in die Zeitläufte ein, spielt sie aber nie gegeneinander aus. Diejenigen seiner Geschwister, die die bäuerliche Welt hinter sich gelassen haben, wissen bis heute das Mehr an Freiheit zu schätzen, das damit einherging, ohne ihre Herkunft missen zu wollen. Dass sich alle elf Frie-Kinder seit frühester Jugend stets in Gruppen bewegten, ließ sie sich in den neuen Umfeldern schnell zurechtfinden und aktive Rollen einnehmen. Frie beschreibt das als einen der Vorteile seiner Herkunft. Auch sonst ist er ohne Bedauern. „Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben war für uns kein trauriger Abschied. Er bot Chancen, die meine Mutter nicht hatte und mein Vater wahrscheinlich nicht hätte haben wollen.“

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