

Der Einzel-Attentäter
Ulrich Rüdenauer in FALTER 12/2023 vom 24.03.2023 (S. 34)
Auch in ihrer sogenannten Erinnerungskultur erweisen sich die Deutschen als obrigkeitshörig: Das fehlgeschlagene Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 – ausgeführt von adelsblütigen Wehrmachtsoffizieren unter der Leitung von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die jahrelang das Unrechtsregime durch ihr Zögern und Mittun gestützt hatten – ging irgendwann nach dem Krieg als wesentlichster Akt der Auflehnung ins kollektive Gedächtnis ein. Die Verschwörer des 20. Juli wurden zu Helden: Es gab ja doch aufrechte Offiziere!
Der Historiker Wolfgang Benz hält diesem Putschversuch – in dem Moment, als der Krieg verloren war – in seinem Buch „Allein gegen Hitler“ einen anderen Protagonisten entgegen: Georg Elser plante sein Attentat auf Hitler bereits im Jahr 1938, als immer klarer wurde, welche Ziele dieser verfolgte. Elsers Anschlag auf die NS-Führungsriege am 8. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller war eine logistische und technische Meisterleistung – und eine moralische Überzeugungstat. Zufälle vereitelten das Gelingen des Tyrannenmords, der möglicherweise der Geschichte einen anderen Verlauf gegeben hätte. Elser verschwand in Konzentrationslagern und wurde kurz vor Ende des Krieges hingerichtet.
Nach 1945 gab es wilde Spekulationen über den Einzeltäter. Teils wurde die NS-Propaganda reproduziert, Elser sei ausschließlich ein Instrument ausländischer Mächte gewesen; teils die These vorgetragen, die Nazis selbst hätten das Attentat inszeniert: um dem Volk zu demonstrieren, dass die „Vorsehung“ den Führer gerettet habe und um Vorwände für den bevorstehenden Westfeldzug zu liefern. Erst in den 1980er-Jahren setzte ein Umdenken ein, unter anderem mit Klaus Maria Brandauers Spielfilm „Einer aus Deutschland“.
Georg Elser hatte alleine gehandelt und ging dabei professioneller vor als später die militärische Elite des Reiches. Eine Gleichstellung mit den Helden des 20. Juli aber gelang nie zur Gänze.
„Stets und ständig“ werde Elser „als schwäbischer Schreinergeselle tituliert, als müsse ein Makel konstatiert werden, da er weder von Adel noch aus dem Militär, nicht einmal aus dem Bildungsbürgertum stammte“, stellt Wolfgang Benz ernüchtert fest. „Deshalb wird er über die Region und durch die kleinen Verhältnisse, aus denen er kam, definiert und – bewusst oder absichtslos, aber stets eindeutig – auch stigmatisiert, denn das Attribut ‚schwäbisch‘ konnotiert die Herkunft mit Charaktereigenschaften wie Einfalt, Unbildung, Provinzialität, beschränktem Horizont, Naivität.“
Der Antisemitismus- und Widerstandsforscher ist freilich nicht der Erste, der über Georg Elser schreibt. Und auch nicht der Erste, der ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen will. Aber er tut das auf überzeugende Weise, was vielleicht auch mit einer heimatlichen Verbundenheit zu tun hat: Benz, nur unweit von Elsers Heimatort Königsbronn geboren, erörtert dessen Widerstandsgeist aus den regionalen Besonderheiten heraus, gibt tiefe Einblicke in das Milieu, dem Elser entstammte. Und er versucht, die charakterlichen Dispositionen des Widerständlers aus den wenigen erhaltenen Dokumenten zu entwickeln, vor allem den Vernehmungsprotokollen, Zeugenaussagen und Erinnerungen von Zeitgenossen.
Weil es kaum einen besseren Kenner der Hitlerzeit gibt, lässt Benz en passant das Klima dieser Jahre und die politischen Hintergründe einfließen – und all das auf lesenswerte, profunde Weise. Detailliert schildert er die Planungen Elsers, die Ausführung des Attentats sowie die Zufälle, die zu seiner Ergreifung geführt haben. Und die Folgen, die der Anschlag hatte – samt allen internationalen Reaktionen.
Deutlich wird in Benz’ „Allein gegen Hitler“ die Einzigartigkeit dieser couragierten Tat: Der Handwerker Elser folgte keiner Philosophie, keiner Staatsräson, keiner Ideologie, sondern ausschließlich seinem Gewissen.