

Zirkus, Theater und demokratischer Schein
Thomas Leitner in FALTER 42/2023 vom 20.10.2023 (S. 37)
Die ganze Welt ist eine Bühne.“ Bei Betrachtung der heutigen Politik- und Promiszene sieht man, wie sehr dieses Shakespeare’sche Diktum noch immer gilt. Karl-Joachim Hölkeskamp, emeritierter Althistoriker der Universität Köln, stellt es seiner Darstellung von 500 Jahren inszenierter Politik der altrömischen Republik als einer „Gesellschaft des Spektakels“ (Guy Debord) voran.
Feste prägten Jahresverlauf und Alltag in dieser Stadtstaatenkultur, ein Begriff, mit dem der Autor eine noch fast dörflich dichte Sozialstruktur kennzeichnet. Rituale und Zeremonien markieren dabei den Lebensrhythmus: Religiöse Prozessionen und karnevaleske Umtriebe, Begräbnisse und Triumphzüge lassen die Bevölkerung sich als Einheit und die Stadt als gemeinsamen Lebensraum erfahren. (Am Ende der Republik zählte man 75 Festtage!)
Mit Zirkus, Arena und Theater wird der Plebs, dem „einfachen Volk“, der Eindruck vermittelt, sie wäre aktiver Mitspieler bei den Inszenierungen der Macht. Eindrucksvoll schildert der Autor Szenen der Teilhabe, wie man sie heute von großen Sportevents kennt. Als Quellen dienen ihm dabei Historiker der Kaiserzeit, allen voran Titus Livius.
Ähnlich theatralisch geht es in den politischen Gremien zu, den Volks- und Ratsversammlungen: Auch hier scheint „Volkes Stimme“ gehört zu werden, viele sitzen beisammen, die Entscheidungen treffen letztendlich wenige. So dienten auch diese Zusammenkünfte dem Schein der Mitbestimmung, mehr aber noch dem rhetorischen und intellektuellen Training der Akteure der führenden Klasse.
In den letzten Jahren tendierten vor allem angelsächsische Historiker dazu, dies als Demokratie zu sehen – eine Sichtweise, der Hölkeskamp entschieden entgegentritt. Er charakterisiert das politische System als meritorische Oligarchie: Die Mitglieder einer Elite vornehmer Geschlechter müssen sich immer wieder neu durch Wettbewerb beweisen. Ihren Höhepunkt fand diese „Kultur des Spektakels“ unter Augustus: In den gewachsenen Strukturen der Republik hielt er auch als Kaiser den demokratischen Schein aufrecht, gleichzeitig dehnte er seine persönliche Macht ohne Einschränkung aus.
Der vorliegende Band ist Teil der prestigiösen „Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung“. Dieser gelingt es immer wieder, Werke mit hohem methodologischen Anspruch und Faktenreichtum kraft erzählerischer Begabung der Autoren mit Leben zu erfüllen. So könnte auch Hölkeskamps „Theater der Macht“ neben dem Fachpublikum weitere Kreise erreichen.