

Trauer, Tinder und ein ungültiges Testament
Sebastian Fasthuber in FALTER 29/2023 vom 21.07.2023 (S. 29)
Es ist wohl nicht ihr hehrster Zweck, aber Literatur kann auch praktischen, informativen Charakter haben. Aus Sabine Grubers neuem Roman "Die Dauer der Liebe" nehmen wir mit: Ein ausgedrucktes Testament ist trotz Unterschrift leider ungültig, wenn es nicht beim Notar, sondern zuhause aufbewahrt wird.
Dumm gelaufen für Renata. So bleibt ihr an materiellen Dingen praktisch nichts von 25 Jahren mit Konrad, einem Architekten und Fotokünstler. Seine Bilder räumt der kleine Bruder aus der gemeinsamen Wohnung. Sogar die CDs aus dem Auto -Al Green, Aretha Franklin, Ray Charles, Johnny Cash - reißt er an sich.
Er handelt als Stellvertreter von Konrads Mutter. Deren einziger Lebensinhalt war es stets, seinen Freundinnen das Leben so sehr zu verleiden, bis sie ihren Buben wieder für sich hatte. Nur Renata widersetzte sich standhaft. Posthum will die bigotte Mama ihren Konrad nun aber wieder zurück.
Der Ärger über die Familie kann Renata nur kurz vom Schmerz über den großen Verlust ablenken. In erster Linie ist "Die Dauer der Liebe" ein Trauerroman. Plötzlich ist der Gefährte verschwunden, allein in der Wohnung zu leben fühlt sich seltsam an.
Langsam verschwindet Konrads Geruch aus den Zimmern: "Renata schnüffelt nach Konrad, wankt von Raum zu Raum, bleibt abrupt stehen, schärft den Blick, spitzt die Ohren. [...] Ein Hund würde nach zu langer Vernachlässigung zu bellen und zu winseln beginnen. Renata hat keine Tränenflüssigkeit mehr, ihre Stimme ist belegt."
Auch Sabine Gruber hat vor einigen Jahren ihren Lebensgefährten verloren, den Maler und Medienkünstler Karl-Heinz Ströhle. Es ist müßig zu spekulieren, wie viel selbst Erfahrenes in dem Buch steckt. Wichtiger ist, was die Autorin aus ihrem Schmerz gemacht hat - einen erfreulich vielseitigen Roman, in dem das ganze Spektrum an Emotionen Platz findet.
Bei aller Verzweiflung, die sich bei der trauernden Renata immer wieder Bahn bricht, ist "Die Dauer der Liebe" mitnichten ein trauriger Roman. Man könnte ihn ebenso als Liebesroman bezeichnen, als Geschichte einer Liebe über den Tod hinaus.
Irgendwie ist Konrad ja immer noch bei Renata. Gruber singt ein Loblied auf die Kraft, die langen Beziehungen innewohnt: "Der liebende Blick ist nicht blind, er nimmt den von der Zeit veränderten Körper wahr, aber in dem, was der andere geworden war, entdeckt er noch die Schönheit der ersten Jahre, leuchtet etwas auf, das nur zu sehen imstande ist, wer einander lange kennt."
Renata ist weit davon entfernt, ewig die trauernde Witwe zu bleiben. Nach einer gewissen Zeit meldet sich die Lust auf Männer zurück, insbesondere die körperliche. Übrigens könnte Konrad es mit der Treue nicht immer so genau genommen haben, vermutet Renata zumindest, nachdem ihr eine verdächtige Widmung auf einem Bild, ein Zettel und ein Schlüssel in die Hände fallen.
Gruber lässt sie durch die Tinder-Hölle gehen. Die Profile der paarungswilligen Männer schildert sie kurzweilig: "Hannes hat lässig die Jacke über seine rechte Schulter geworfen, am unteren Bildrand zeigt ein Dutzend Emojis an, was er liebt: Bier, Wein, Hotdogs, Kaffee, Kuchen, Fußball, Boxen, Skifahren, Wandern, Kegeln. Am Ende sind eine Aubergine und eine herausgestreckte Zunge zu sehen. Sucht er eine Frau für den Blowjob? Ist er Analphabet?" So schön, tröstlich und, ja, unterhaltsam sich das Buch liest, wirkt es, gemessen an anderen Gruber-Romanen, zunächst gar geradlinig. Die Autorin verknüpft sonst mit Vorliebe verschiedene Motive, Geschichten, Themenkomplexe oder Zeitebenen.
Mit dem Nachlassen des Schmerzes erweitert sich der Blick in der zweiten Hälfte. Renata reist nach Italien, besichtigt von Mussolini angelegte Neustädte und Monumentalbauten. Konrad hatte die Verbindung zwischen dem faschistischen Regime und der Moderne fasziniert. Mit Bruno und Marianne treten darüber hinaus Hauptfiguren aus den früheren Romanen "Daldossi oder Das Leben des Augenblicks" und "Die Zumutung" wieder auf.
Dennoch ist "Die Dauer der Liebe" insgesamt weniger komplex und aufwendig komponiert als diese Vorgänger: ein fast schon leichter, sehr flüssig zu lesender Roman über die Phasen und Bewältigung der Trauer. Auch das steht Sabine Gruber gut.