

Im Schweige-Retreat: Reisen zum Selbst mit Realitätsverlust
Andreas Kremla in FALTER 35/2025 vom 29.08.2025 (S. 28)
Ein Buch wie ein Roadmovie, nur führt die lange, gewundene Straße hier nicht sehr weit weg: Adam Fletcher kämpft sich in einer deutschen Provinzstadt als Teil einer heterogenen Gruppe durch ein zehntägiges buddhistisches Meditationsseminar mit eisernem Schweigegebot und exerzitiengerechten Kurszeiten. Beim stundenlangen Stillsitzen erlebt er Aggressionen, körperlichen Widerstand und unerklärliche Dauererektionen. Außerdem kommen Erinnerungen an erniedrigende Erfahrungen in seiner Jugendzeit hoch.
Dabei hat Fletcher nicht einmal selbst gebucht. Seine Freundin schickte ihn auf den Trip, um die von unerfüllten Kinderwünschen stark angenagte Beziehung zu retten.
Der gewohnte Realitätssinn weicht einem unkontrollierbaren Strom von Eindrücken aus der Außenwelt und Fundstücken der Innenschau: "Ich reagierte ständig auf alles -willkürliche mentale Rülpser, Gelüste, Abneigungen, Deckenplatten, Vorgedanken, Dämonenschleifen [...]. Darum musste ich so viel stampfen, brüllen und heulen."
Doch siehe da: Etwa zur Halbzeit wendet sich das Blatt. Fletcher kann sich auf die verbleibenden Tage voll einlassen: "Es wurde Zeit, mal mit meinen Dämonen abzuhängen. Jippie."
Für Unterhaltung hat der in Großbritannien geborene Wahlberliner mit seinen Büchern schon bislang gesorgt, zuletzt in: "So sorry! Ein Brite erklärt sein komisches Land." Im neuen Buch geht Adam Fletcher noch weiter: Zwischen Tragödie und Komödie balancierend erzählt er von echter Selbsterkenntnis. Die übersteigerte Selbstironie, der Wortwitz und die ebenso schnoddrigen wie treffenden Metaphern erinnern an Douglas Adams zu seinen besten Zeiten ("Per Anhalter durch die Galaxis"). Die Reise in die Innenweltgalaxie reißt mit.
Warnhinweis für Menschen, die erstmals ein Meditationsseminar gebucht haben: Lesen Sie dieses Buch erst danach!